Interview mit Studiendirektor Fritsch, Regensburg
Herr Fritsch, Sie haben einige Jahre in Anina als Professor für Mathematik und Physik unterrichtet und werden von manch einem als Steirer betrachtet. Aber Sie sind eigentlich erst später nach Steierdorf-Anina gekommen. Wie kommt es, dass Sie bis heute dem Ort verbunden sind?
Obwohl ich in Kronstadt und nicht im Banat geboren wurde, fühle ich mich verbunden mit diesem Bergland und ganz besonders mit Steierdorf-Anina. Diese Verbundenheit hat nicht nur berufliche, sondern auch familiäre Wurzeln. Mein Vater, geboren in Anina, hat nach seinem Maschinenbaustudium in Deutschland und nach einigen als Flugzeugkonstrukteur in Argentinien verbrachten Jahren meine aus Orawitz stammende Mutter geheiratet. Da meine Mutter nicht nach Argentinien auswandern wollte, haben meine Eltern sich in Kronstadt, wo ein Flugzeugwerk war, niedergelassen. Während des Krieges war die Gefahr einer Bombardierung von Kronstadt groß. Mein Vater wollte seine Familie in Sicherheit wissen und bewog meine Mutter, die Stadt mit uns Kindern zu verlassen. So kehrte meine Mutter nach Orawitz zurück. Dort erlebten wir - getrennt von unserem Vater - das Ende des Krieges.
Wie kamen Sie nach Steierdorf und wie lange waren Sie hier tätig?
Nach Abschluss des Gymnasiums in Orawitz und meines Studiums der Mathematik
und Physik in Temeschburg bin ich 1958, nachdem ich eine Zwangszuteilung
nach Craiova rückgängig machen konnte, in Anina am Gymnasium
eingestellt worden. Zugleich musste ich auch einige Jahre als Vertreter
der deutschen Minderheit in der Stadtverwaltung mitwirken.
13 Jahre lang habe ich in Anina als Lehrer das rumänische
Bildungssystem kennen und das pädagogische Konzept auch schätzen
gelernt. Aber die ständige politische Indoktrination und Gängelung
der gesamten Gesellschaft, also auch der Schule, meistens von unfähigen
und ungebildeten Gesellen, war auf Dauer unerträglich. Nachdem sich
die Entwicklung einer chauvinistischen Personenkultdiktatur abzeichnete
und zugleich auch noch persönliche Benachteiligungen aufgrund ethnischer
Überlegungen hinzukamen, habe ich 1971 Rumänien verlassen.
Wie war der Neuanfang in Deutschland? Welche Erfahrungen haben Sie mit der Eingliederung in die hiesige Gesellschaft gemacht?
In Deutschland angekommen, erging es mir wie allen anderen auch, die
nicht als Rentner Rumänien verlassen haben. Es war erforderlich sich
mit den ganz anderen Gesetzen der freien Marktwirtschaft auseinanderzusetzen.
Sie bestimmten die Eingliederungsmöglichkeiten, beginnend mit Anerkennung
von Unterlagen, Anstellung, Besoldung, Fortbildung, Beförderung und
desgleichen mehr. Man musste selber aktiv sein, und auch damals wurde einem
nichts geschenkt.
Ein anderer Aspekt der Eingliederung machte so manch einem viel mehr
zu schaffen. Es war die Frage der ethnischen Identität. Durch tendenziöse
Manipulation der geschichtlichen Tatsachen wurde der Begriff der deutschen
Volkszugehörigkeit in den Massenmedien so sehr und so lange verdrängt,
bis er – in Bezug auf die Aussiedler - im Begriff des Ausländers unterging.
Auch bei den meisten Politikern gab es diesbezüglich nur "diplomatisches"
Verhalten aus opportunistischen Gründen, aber auch aus Angst vor dem
Vorwurf des Pangermanismus, der Deutschtümelei. Es waren nicht nur
die unterdurchschnittlich gebildeten Leute auf der Straße, für
die nur noch der Begriff des Staatsbürgers existierte. Auch einige
meiner akademisch gebildeten Kollegen hatten Mühe, die deutsche Geschichte
aus einer anderen als der gängigen Version in der Presse zu verstehen.
Nicht wenige überzeugte Wohlstandsbürger einer Freizeit- und
Spaßgesellschaft empfinden auch gar kein großes Verlangen nach
unverfälschter Vergangenheitsbewältigung. Für uns aber war
und ist die Volkszugehörigkeit eine Grundsatzfrage, die unser Leben
maßgeblich und oft ausschließlich bestimmt hat. Man kann nicht
Jahre des Krieges, der Flucht, Vertreibung, Deportation und Benachteiligung
einfach streichen, nur weil sie nicht in ein opportunistisches Konzept
passen. Dies muss man mit Geduld, aber auch mit Nachdruck unseren Mitbürgern
darstellen.
Nun zurück zu meinem beruflichen Werdegang. Begonnen habe ich
als Gymnasiallehrer mit einem befristeten Jahresvertrag und, im Vergleich
zu meinen Kollegen, unterbesoldet. Für die Übernahme in das Angestelltenverhältnis
wurde ein Probejahr festgelegt. Für die Übernahme ins Beamtenverhältnis
war eine weitere Probezeit erforderlich. Nach der Verbeamtung führten
mich weitere Beförderungen bis ins Direktorat eines großen Gymnasiums
in Regensburg.
Mein beruflicher Werdegang in Deutschland zeigt, dass Integration möglich
ist. Und ich bin kein Einzelfall. Tausende Aussiedler der 70er und
80er Jahre haben sich inzwischen gut in die hiesige Gesellschaft integriert,
auch wenn das für keinen von uns einfach war.
Sie kennen sowohl das rumänische wie auch das deutsche Bildungssystem gut. Wodurch unterscheiden sie sich?
Es würde den Rahmen unseres Interviews sprengen, würde ich
alle Unterschiede nennen. Ich möchte aber eine grundsätzliche
Anmerkung machen. Das rumänische Bildungssystem wurde in Anlehnung
an das französische aufgebaut. Dementsprechend ist auch die pädagogisch
sinnvolle Anrede des Gymnasiallehrers als „Professor„ anders als in Deutschland,
wo das Beamten- und Angestelltenverhältnis maßgebend sind. Übrigens
ist „Professor„ auch in Österreich eine für den Gymnasiallehrer
gängige Bezeichnung. Die vielen Amtsbezeichnungen für den verbeamteten
Gymnasiallehrer in Deutschland bieten zwar den Lehrern Beförderungsmöglichkeiten,
sind aber nicht sehr geeignet für ein effektives erzieherisches Konzept
in der Arbeit mit den Schülern.
Mein pädagogisches Konzept mit dem Grundsatz "Leistung und Mut
zur Erziehung" ist meinen ehemaligen Schülern aus Anina sicherlich
noch bekannt. Ich habe es auch in Bayern während meiner 30-jährigen
Tätigkeit und trotz vielfältiger populistischer Gegenströme
unbeirrt beibehalten. Und ich habe bei Schülern und Eltern gute Erfahrungen
damit gemacht.
Was sind Ihre liebsten Erinnerungen an Steierdorf? Eine bestimmte Landschaftsecke? Menschen? Ereignisse?
Das, was heute am Rande von Steierdorf, wie eine Mondlandschaft aussieht,
war früher eine der schönsten Landschaften des Banater Berglands;
eine harmonische Verbindung von gesundem Tannen- und Mischwald mit gepflegten
Wiesen.
Auch wenn die Nachkriegszeit und die 60er Jahre keine Zeit des Überflusses
waren, sind Ausflüge ins Grüne ein willkommener Anlass gewesen,
zusammen mit Freunden die Sorgen des Alltags in einer intakten Naturlandschaft
zu vergessen. Auch Namens- und Geburtstage sind gebührend mit Musik
und Tanz gefeiert worden. Aber die Steirer und Aninaer konnten nicht nur
sehr schön feiern; sie waren auch ausgezeichnete und vielseitige Facharbeiter
und Handwerker, sehr gute und zuverlässige Mitarbeiter, und sie waren
immer bereit, sich in ihrer Freizeit kulturell zu betätigen. Als Beispiel
könnte ich hier die sehr schönen "Bunten Abende" nennen, welche
ein Gewinn für die gesamte Bevölkerung waren. Rückblickend
bleibt mir in Erinnerung die damalige Fähigkeit der Menschen sich
zu freuen über das - oft recht Wenige - das sie hatten und nicht ewig
zu jammern über das, was sie nicht hatten.
Es ist bekannt, dass Sie ein Liebhaber unserer steirischen Küche sind. Verraten Sie uns Ihr Leibgericht, Ihre Lieblingsmehlspeise?
Es gibt so viele kulinarische Köstlichkeiten im ganzen Banater Bergland, dass man hier unmöglich alles aufzählen könnte. Die gelungene Mischung aus deutscher, österreichischer, böhmischer, rumänischer und ungarischer bis hin zur Küche des Balkans ergibt eine Vielfalt, die sich jeder, der gutes Essen noch zu schätzen weiß, nur wünschen kann. Worauf es aber immer ankommt, ist die gekonnte Zubereitung. Diese Kunst der Herstellung von geschmackvollen Gerichten war fast in jedem Haushalt eine Selbstverständlichkeit. Auch ich habe eine ganze Reihe von Lieblingsgerichten, beginnend mit der Krautsuppe, über "ciorbe", Krautwickel, gekochten Schinken mit Kartoffelsalat und eingelegten Buchenschwammerln bis hin zu Palatschinken. Das Kesselfleisch und die guten hausgemachten Würste, die so viel besser schmecken, gehören auch dazu. Die große Auswahl an guten Torten, Strudeln und das unzählige Kleingebäck waren immer eine Augenweide und eine große Verlockung.
Sie haben sich in den letzten Jahren sehr stark für Steierdorf und die Region engagiert. Ich finde, Ihr Einsatz sollte hier lobend erwähnt werden.
Vielen Dank. Ich möchte aber hinzufügen, dass mein Beitrag recht bescheiden ist im Vergleich zu dem, was die Südmark aus Graz für das gesamte Bergland und Herr Dubovszky insbesondere für Steierdorf getan haben. Wenn zeitlich möglich, war ich bereit, diese Hilfsaktionen zu begleiten.
Wie beurteilen Sie die momentane Lage in Steierdorf?
Zur Zeit ist die Lage in Steierdorf-Anina recht kritisch. Seit Beginn der 70er Jahre hat sich die Aus- und Abwanderungsrate der qualifizierten Arbeitskräfte ständig erhöht, was zu einer drastischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lebensbedingungen führte. Diese Tendenz hat sich leider auch nach 1989 fortgesetzt. Nach der Wende wurden nicht nur Hilfsgüter für Steierdorf-Anina gesammelt, sondern auch Bemühungen zur Gewinnung von Investoren angeregt und unterstützt, die jedoch nicht zum erhofften Erfolg führten.
Wie schätzen Sie die Entwicklungsperspektiven für Steierdorf insgesamt? Wo liegen die Chancen?
Die Entwicklungsperspektiven für Steierdorf-Anina müssen im
Rahmen der Gesamtentwicklung des Marktes und der Osterweiterung der Europäischen
Union gesehen werden. In den Großstädten des Banats gibt es
schon gute Ansätze eines positiven marktwirtschaftlichen Aufwärtstrends.
Hauptsächlich daran beteiligt ist die, auch etwas jüngere, Internet-Generation,
die keine Grenzen kennt und Sprachbarrieren durch Mehrsprachigkeit überwindet.
Vorboten des sich nach Osten ausdehnenden Marktes haben auch das Bergland
erreicht und werden es entsprechend beeinflussen.
Die stillgelegten Gruben und Werke gehören sicherlich nicht zu
den Zukunftschancen des Ortes.
Ich sage Ihnen aber bestimmt nichts Neues, wenn ich darauf hinweise,
dass vor dem Krieg in Steierdorf ein reger Fremdenverkehr mit Kurbetrieb
zu verzeichnen war und der Tourismus einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor
darstellte. In der Wiederbelebung dieser Tradition sehe ich eine aussichtsreiche
Chance für Steierdorf. Dazu gehört auch eine geeignete Infrastruktur,
die sich nach westlichem Standard ausrichten sollte. Dies betrifft nicht
nur die Unterkünfte, sondern auch ein geschultes Personal mit Fremdsprachenkenntnissen
und touristenfreundlicher Werbung. Zum Beispiel ist es nicht allein finanziell
unsinnig Werbematerial nur in Englisch drucken zu lassen, das dann ungelesen
liegen bleibt.
Die im gesamten Bergland noch vorhandene Zweisprachigkeit von Rumänisch
und Deutsch ist ein zu wenig beachteter und zu gering geschätzter
Wert in der zukünftigen Entwicklung. Sie sollte im eigenen Interesse
einer noch besseren Verständigung in der Europäischen Union entsprechend
vertieft und gefördert werden. Auch die vorhandenen wirtschaftlichen
sowie persönlichen Verbindungen nach Österreich und Deutschland
sollten in diesem Sinne gepflegt und ausgebaut werden.
Die Entstehung neuer kleiner Betriebe ist auch nicht auszuschließen.
Sie müssen nur auf der Basis einer zeitgemäßen Technologie
aufgebaut werden oder Träger von Alternativ- und Zukunftsenergien
sein. Es gibt sicherlich noch weitere Möglichkeiten, die man auch
im Rahmen eines länderübergreifenden Informationsaustausches
erfahren kann.
Steierdorf feiert heuer am 15. Juni das 130-jährige Kirchenjubiläum und natürlich 230 Jahre seit der Gründung. Werden Sie dabei sein?
Ich denke schon und ich freue mich auf ein Wiedersehen.
Vielen herzlichen Dank für das Interview.