Der dauernde Lärm in Schulen ist das Schulproblem Nr. 1

Seit Berlins Rütli-Hauptschule Schlagzeilen macht, ist die unzureichende soziale Integration junger Migranten für alle ein Thema. Fragt man aber Lehrer nach ihrem größten Problem in den Schulen, dann steht ganz oben auf der Liste der in vielen Schulen unzumutbare Krach. Er ist gesundheitsgefährdend. Abhilfe ist möglich, aber die passende DIN-Norm ist lediglich eine Empfehlung.

Unter der Decke des Vortragssaals in Münchens Haus der Pädagogik kleben fingerdicke Styroporplatten, mit einem halben Meter Abstand von den Wänden akkurat in Reihen verlegt und anscheinend erst vor kurzer Zeit frisch gestrichen. „Akustisch bringen die gar nichts“, sagt Peter Hammelbacher vom Präventionsdienst München einer Berufsgenossenschaft. „Denn um in einem Raum die Schallreflektion zu verringern, muss man außer der Decke vor allem auch eine Kante zwischen Wänden und Decke verkleiden, wo sich die Schallwellen brechen. Und der Schall muss in das Material eindringen können. Streicht man die Poren von Dämmplatten mit Farbe zu, reagieren sie auf Schall hart wie eine Wand.“

Die Handvoll Zuhörer, die sich Anfang April für diese Expertise des Ingenieurs Hammelbacher über „Akustik in Bildungsstätten“ interessierten, wirkten wie ein Häuflein Versprengter. Führte sie eine Frage zusammen, die hinter wirklichen Problemen zurückstehen sollte, nach dem Motto „Deren Sorgen möchten wir haben“? Nicht, wenn es nach Hammelbachers Statistiken geht. Jede dritte Kita-Mitarbeiterin, jede zwei Kita-Leiterin und acht von zehn Lehrern beklagen sich über Krach. Der Lärm und Stress in Schulgebäuden ist nach Angaben aus Lehrerkreisen noch vor pädagogischen Schwierigkeiten und der Arbeitsorganisation das Schulproblem Nummer 1.

Reagieren Erzieher besonders empfindlich? Mitnichten. In Grundschulen herrscht durchschnittlich ein Lärmpegel von 75 dB. „Eher laute“ Räume erreichen bis zu 84 dB. In Europa gelten Industriearbeitsplätze ab 80 dB als so laut, dass man dort Ohrschutz zu tragen hat. Für eine geistige Tätigkeit, die Schüler eigentlich ausüben sollen, gilt ein Richtwert von 55 dB. Jeweils 10 dB mehr oder weniger werden als Verdoppelung oder Halbierung des Lärmpegels erlebt.

Drei Viertel ihrer Unterrichtszeit sollen Schüler zuhören. Im Lärm verstehen sie schlecht

Ein Problem sind auch kaum zumutbare Nachhallzeiten. Abgesehen von Musikräumen wäre eine halbe Sekunde ideal. Bei mehr als einer Sekunde versteht man schon deutlich schlechter, bei 1,2 Sekunden nur noch etwa drei Viertel und mit Hörschwierigkeiten, die mehr als 400.000 junge Menschen in deutschen allgemeinbildenden Schulen haben, nur noch etwa die Hälfte von dem, was jemand spricht. In einer Turnhalle wurden sogar mehr als vier Sekunden Nachhall gemessen. Kinder, die sich sehr leicht ablenken lassen, kommen unter solchen Voraussetzungen im Unterricht kaum noch mit. Sind sie dann auch noch in einer anderen Muttersprache wie der unterrichteten deutschen aufgewachsen, müssten sie besonders gut hinhören können. Für den Fremdsprachenunterricht und für den Unterricht von Migrantenkindern ganz generell müsste es also besonders ruhig und konzentriert zugehen. Das Gegenteil ist fast durchweg der Fall.

Ganz miserabel ist die Raumakustik beispielsweise in Münchens relativ neuer Schule in Riem. Sie wurde 1998 eröffnet. Die einschlägige DIN-Richtlinie gilt erst seit 2004. Und auch sie ist kein Gesetz. Berufsgenossenschaften und Unfallkassen sind zwar dahinter her, dass die DIN-Werte beachtet werden. Aber das Problem ist noch groß. Denn Wände absorbieren nur etwa drei Prozent Schall, PVC-Böden nur ein Prozent, selbst dünne Teppichböden nur sechs Prozent. Akustiktapeten bringen dagegen schon 30, geschäumte Glasmatten 70, abgehängte Akustikdecken und Akustikspritzputz bis über 90 Prozent Schallabsorption. Einen Klassenraum schallzudämmen kostet von ca. 1500 Euro an aufwärts. Sogar die Schallreflektion von Fenstern kann man mit vorgespannten durchsichtigen Folien um etwa die Hälfte verringern. Man muss es nur tun.

Gernot Brauer  , erschienen in der Zeitschrift "Standpunkte" des Münchner Forums