Die Heilung eines Blindgeborenen
Johannes 9,1 - 7
1 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der
blind geboren war.
2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer
hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, daß er blind
geboren ist?
3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine
Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an
ihm.
4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat,
solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.
5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das a Licht der Welt.
6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus
einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden.
7 Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah - das heißt
übersetzt: gesandt - und wasche dich! Da ging er hin und
wusch sich und kam sehend wieder.
Da hockt ein Blinder vor dem Tempel Gottes. Alle, die vorbeigehen,
sehen den, der nicht sehen kann, doch am liebsten würden
sie ihn gar nicht sehen. Ein zu starker Kontrast. Das paßt
nicht, ist nicht schön.
Nicht nur blind ist er, offensichtlich auch arm. Seine Eltern
präsentieren ihn in seinem Elend, daß er wenigstens
einen Bettellohn bekommt.
Die Jünger gucken nicht auf die andere Seite wie die meisten
Leute, als sie am Blinden vorbeigehen, immerhin. Und sie stellen
eine schwierige Frage: Wer ist eigentlich schuld an dem Unglück,
der Blinde oder seine Eltern?
Verurteilen wir die Jünger nicht, daß sie bei einem
solchen Elend gleich nach der Schuld fragen. Sehr viele Leute
denken bis heute zuerst an das "Warum", ehe sie mitfühlen
und empfinden. Sie akzeptieren nicht, daß etwas schlimm
ist, sondern wollen erst klären, warum ist es schlimm, und
wer hat die Verantwortung.
Wer wie die Jünger an einen gerechten Gott glaubt, wer glaubt,
daß Gott alle Sünde straft, wer an das Gesetz von
Ursache und Wirkung glaubt, der muß so fragen: "Wer
hat gesündigt!" Es bedeutet nicht, daß ihnen
dieser Blinde nicht leid getan hat.
Glauben wir nur nicht, die Menschen heute wären liebevoller.
Es wird doch heute in Zeiten angeblich knapper Finanzen knallhart
nach Schuld gefragt:
Warum geht es den Menschen in den vielen armen Ländern der
Welt denn so schlecht? Wer ist schuld? Arbeiten sie wenig?, sind
die Regierungen korrupt?, beutet das Weltwirtschaftssystem aus?
Warum gibt es so viele Arbeitslose? Ein Fehler der Regierung,
oder sind die Großkonzerne mit Stellenabbau und Gewinnmaximierung
schuld, oder wollen die gar nicht arbeiten?
Warum kommen behinderte Kinder zur Welt? haben die Eltern nicht
aufgepaßt? Haben die Ärzte versagt? Ist die Ethik
der Barmherzigkeit schuld, die solche Wesen leben und leiden
läßt?
Viele meinen nach wie vor: Jeder bekommt, was er verdient. Das
ist nach wie vor ein gängiges Erklärungsschema. Wer
Glück im Leben hat und reich wird, der schreibt es sich
selber zu und die Unglücklichen und Armen, nun ja, die haben
ihre Chancen nicht genutzt.
Diese Einstellung steckt ganz tief in den Menschen drin. Und
immer wieder ertappe ich mich beim Gedanken: Eigentlich müßte
es mir doch gut gehen, denn ich habe nichts Unrechtes getan.
Wer Gutes tut, der wird leben. Wer Böses tut, den trifft
der Fluch,
so sagt es in der Bibel das Gesetz Gottes und vielen Menschen
scheint das im Blut zu liegen.
Doch sie merken gar nicht, daß diese Rechnung zwar richtig
ist, aber niemals aufgeht. Denn: Keiner ist gut! Dies Gesetz
ist unbarmherzig. Da gibt es keine Erlösung!
Die Jünger haben immerhin schon gemerkt, daß etwas
nicht stimmen kann. Der Mann ist ja schon blind geboren. Soll
er also schon im Mutterleib große Sünden begangen
haben? Ungeborene Kinder gelten als Engel, als Inbegriff der
Unschuld. Das kann also nicht sein. Schieben wir es nicht besser
den Eltern in die Schuhe? Die Jünger wünschen sich
bestimmt: "Jesus sag doch endlich, daß es die Eltern
sind, die schuld sind, die etwas Böses getan haben, dann
ist unser Weltbild wieder in Ordnung!, das könnten wir verstehen."
Heute ist angeblich alles humaner und viele schlaue Leute sehen
mit Verachtung auf die primitiven Gedanken in der Bibel. Wie
kann man überhaupt nur so eine Frage stellen, wer schuld
ist?
Doch wo nicht mehr gefragt wird nach Schuld, wird automatisch
den Schwächsten und Hilflosesten die Schuld zugeschoben.
Ungeborene z. B. werden doch wie Schuldige behandelt. Sie kommen
zur falschen Zeit, unter ungünstigen Umständen, sie
verderben das Leben, verhindern Ausbildung und Aufstieg, sie
stören, und wehe, wenn sie erbkrank oder nicht gut genug
sind.
Jesus steckt hier in einem Dilemma. Wenn nicht alles blinder
Zufall ist, dann muß jemand verantwortlich sein. Sind es
nicht die Eltern oder der Blinde, dann kann es nur Gott selbst
sein.
Wie zieht sich Jesus aus dem Dilemma? Es ist für ihn kein
Dilemma. Dafür ist Jesus in diese Welt gekommen, zu enthüllen,
daß alles ganz anders ist.
Er heilt diesen Kranken! Gott will nicht sein Leid, sondern sein
Glück und seine Gesundheit. Die Eltern werden vom Druck
befreit, sie hätten etwas falsch gemacht. Der Blinde erfährt:
Ich bin nicht der letzte Dreck, auf dem jeder herumtrampeln darf:
Gott bin ich recht!
Alle haben sie falsch gedacht, alle haben sich getäuscht!
Und Gott ist ganz anders.
Aber was ist denn mit dem Gesetz Gottes?
Jesus sagt hier etwas Unglaubliches. "Es hat weder dieser
gesündigt noch seine Eltern." Kann das sein? Drei völlig
sündlose Menschen? Ganz und gar unschuldig und gerecht vor
Gott?
Jeder christlichen Lehre und jeder menschlichen Erfahrung spricht
das Hohn. Alle Menschen sind Sünder. Aber Jesus hat es gesagt.
Keiner hat gesündigt. Wie kann das sein?
Gott hatte seinem Volk Israel das Gesetz gegeben: Du sollst nicht
töten, du sollst nicht ehebrechen, nicht lügen, stehlen
usw..
Und allen Menschen hat er es ins Herz gegeben, ein Empfinden
für gut und böse und für Gerechtigkeit. Das Gesetz
zeigt Gottes Willen und es wird nur erfüllt, wenn die Liebe
unter den Menschen vollkommen ist. Doch alle Menschen sind daran
gescheitert und da wird ihnen das gute Gesetz zum Fluch. Sie
sind die Verlierer und am Ende steht der Tod, der ewige Tod und
das Verderben. Die Blindheit der Menschen ist es, daß sie
immer schnell entdecken, wie böse ein anderer ist, aber
sich selbst ausklammern. Doch der Fluch wird sie alle treffen.
Gott hat mit dem Gesetz gezeigt, was gut ist und doch das ist
unerträglich hart für die schwachen Menschen.
Doch mit seinem Gesandten Jesus zeigt Gott nun den Menschen sein
Herz. Er liebt unendlich mehr, als es das Gesetz je zeigen konnte.
Das Gesetz wird deshalb nicht weggetan. Es bleibt Gottes Wort
und gültig für alle Zeit. Doch Gott hat in seiner Liebe
einen Weg bereitet, all die Gescheiterten und Verlorenen doch
zu retten und zu erlösen.
Wenn Jesus sagt: "Es hat weder dieser gesündigt noch
seine Eltern" dann ist das die Botschaft des Evangeliums.
Die Frohe Botschaft, daß Gott den Sünder aus Gnade
annimmt und ihn so ansieht, als hätte er niemals irgendetwas
Böses getan.
Aber das hören die Menschen gar nicht gerne! Warum soll
es einem aus Gnade besser ergehen! Der gehört genauso gestraft,
wie alle anderen auch. Obwohl alle unter dem Verdammungsurteil
des guten gesetzes stehen, ist ihnen doch das Gesetz lieber als
das Evangelium. Dieser Blinde wird noch größte Schwierigkeiten
bekommen und kaum einer wird sich mit ihm einfach freuen. verrückte
Welt!
Doch Jesus ist das Licht der Welt und er ist gekommen, die Menschen
der Macht der Finsternis zu entreißen! Diesen Blinden packt
Jesus und entreißt ihn aller Finsternis. Und die Gegenargumente
läßt er nicht gelten.
Jetzt mit Jesus ist die Barmherzigkeit das entscheidende Wort
Gottes. Gott wird sich nicht selbst untreu, wenn er sagt: Es
hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern und sie damit
freispricht. Denn es ist so: Jesus selbst hat alle Forderungen
des Gesetzes erfüllt. Und gerade er wurde wie der schlimmste
aller Sünder mit dem schlimmsten Tod bestraft am Kreuz.
Alle Sünde der Menschheit liegt auf ihm, alles Elend, alle
Strafe. Wenn Jesus mir zuspricht: du hast nicht gesündigt,
dann nimmt er damit meine Sünde auf sich und erleidet für
sie seinem unschuldigen Tod. Dann erst kann ich sehen, kann der
Wahheit über mich und über Gott ins Auge sehen und
als Begnadeter neu leben.
Das ist das Evangelium, die beste Botschaft aller Zeiten.
Wir sollen und brauchen nicht mehr nachrechnen, wie viel Schuld
es gewesen ist, die mir vergeben wird. Die Erbsenzählerei
ist vorbei, obwohl Erbsen nach dem Gesetz ausreichen, um verdammt
zu werden.
Eine Botschaft dieser Geschichte ist: Jesus hat diesen Blinden
geheilt. Das allein ist schon etwas sehr Gutes. Sein Zuwendung
hat bewirkt, daß Elende nicht ihrem Schicksal überlassen
werden, was in weiten Teilen der Welt üblich gewesen ist.
In der Natur ist es ja auch so. Vögel schmeissen die Schwachen
gnadenlos aus dem Nest ohne die Frage: Wer ist schuld? Christen
haben in 2 Jahrtausenden in einer Geschichte der Barmherzigkeit
ein Umdenken bewirkt. Behinderte und Kranke erhalten heute in
der Regel jede mögliche Hilfe und da kann viel ausgeglichen
werden. Heute nach dem Gottesdienst werden wir eine Ausstellung
besuchen, die uns das bewußt macht: Das Dunkelerlebnis!
Und doch, Sie haben es bei dieser Predigt gemerkt, es geht um
viel mehr als daß damals einer geheilt wurde.
In dieser Geschichte geht es um ein unglaubliches Angebot für
jeden Menschen. Die ganze Menschheit findet sich ja in keiner
heilen Welt, sondern draußen vor der Tür Gottes, blind,
arm, zerstritten, und dauernd die Frage: wer ist schuld? Jeder
selber oder die Eltern und Vorfahren oder die Mächtigen?
Ja, sie haben gesündigt, alle, doch es bringt nichts mehr,
zu diskutieren, wer nun mehr gesündigt hat. Gott sieht es
nicht mehr an. Gott sieht Jesus an, der am Kreuz verflucht und
verdammt worden ist. Und da wendet er sich in Liebe den Sündern
zu und tut seine Werke des Lichtes.
Dieser eine Blinde hat der Liebe Gottes geglaubt. Er ist hingegangen
und hat sich gewaschen. Er hat Jesus aufs Wort geglaubt, es ernst
genommen und etwas Seltsames getan. Auch wenn viele dachten,
Spucke ist ein Zaubermittel, es machte kein Spuckebrei, sondern
der gehorsame Schritt im Glauben. Glauben ist keine Leistung,
die etwas wiedergutmacht. Glaube ist das Akzeptieren, wer Jesus
ist und ihn anerkennen und vor allem, ihm alles zutrauen. Glaube
ist Annehmen, einen Rettungsring ergreifen, kein Werk. Das Werk
tut Gott, ich kann es nur dankbar und voller Freude in Demut
annehmen.
So bietet diese Geschichte Hoffnung. Dieses Zeichen an dem Blinden
ist ein Ruf zum Glauben, und Glauben ist nicht schwer, das kann
jeder, der sich nicht sträubt, der das Gesetz losläßt
und sich auf den Glauben einläßt.
Im Glauben wäscht sich der Blinde im Teich Siloah. Siloah
heißt: Gesandter. Ja, Jesus ist der Gesandte des Vaters.
Er ist der Gesandte der Barmherzigkeit. Zum Glauben an ihn kommen
und sich taufen lassen, ist mehr als ein Ritual, er läßt
sich in seinem Herzen von Jesus waschen und ihm fällt der
Dreck von den Augen.
Der Menschgewordene ist das Licht für die Menschen, indem
er sie der Finsternis entreißt! Es soll noch in vielen
Menschen licht werden, ehe die Nacht kommt, wo keiner mehr wirken
kann. AMEN.
|