Vom Kommen des Gottesreiches
Predigttext Lukas 17, 20-24
20 Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt
das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: a Das Reich
Gottes kommt nicht so, daß man's beobachten kann;
21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! Oder: Da ist
es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Luther übersetzte Vers 20b.21: »Das Reich Gottes kommt
nicht mit äußerlichen Gebärden... sehet, das
Reich Gottes ist inwendig in euch«.
22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen,
in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns,
und werdet ihn nicht sehen.
23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da! Oder: Siehe, hier!
Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!
24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des
Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage
sein.
Die Jesusgeschichte, die Frau Samrei vorhin gelesen hat, hat
einen guten Anfang. Da reden Menschen miteinander. Gut, wenn
Menschen miteinander reden und nicht aneinander vorbeileben.
Gut, wenn tiefgehende Fragen gestellt werden können und
wenn es echte Antworten gibt. Wo Menschen miteinander reden ist
es schön. Schlimm wo gegeneinander, am schlimmsten die Gleichgültigkeit.
Du bist für mich, eine Nichtexistenz, eigentlich tot!
Mein erstes Erlebnis in der alten Heide: An der U-Bahnhaltestelle
habe ich mein Auto geparkt, nicht besonders gut, eine Ausfahrt
verperrt. Nur ganz kurz, wir sollten den Herrn vom Bauamt mitnehmen.
Da saß ein Mann auf der Bank, ich steige aus und er gibt
mir sehr deutlich zu verstehen, so können wir da nicht stehen
bleiben, fängt an zu dirigieren. Dumme Situation. Es hätte
Ärger geben können. Doch wir reden miteinander, wir
beginnen uns zu verstehen und am Schluß weiß er,
daß ich der neue Pfarrer ist und ich habe manches über
die Alte Heide erfahren und wir sind vertraut miteinander geworden.
Die Leute müssen miteinander reden!
Bei Jesus geht das Gespräch um das Reich Gottes. Nicht Jesus
hat die Leute zum Reich Gottes gefragt, sondern sie ihn. Die
Leute sind viel mehr am Glauben und an der Religion interessiert,
als wir meinen. Eine Untersuchung hat das belegt. Von der Kirche
erwarten die Menschen in erster Linie, daß es um den glauben
und um Gott geht. Die Kirche muß nicht Hans-Dampf in allen
Gassen spielen. Gibt genügend wichtige Fragen, die die Menschen
interessieren. Habe mein Auto verkaufen wollen, Nachbar aus Marokko
interessiet sich, doch nach einigen Minuten sind wir bei Jesus
und Allah und dem Frieden. Eine Studentin kommt uns besuchen
und eigentlich war Musik das Thema, doch mehrere Stunden geht
es darum, was die Bibel wirklich meint und wie die biblischen
Bücher entstanden sind. Auf dem Friedhof ein Angestellter,
wechseln ein paar Worte: Er ist zeuge Jehova und wir hätten
stundenlang diskutieren können.
Wir brauchen gar keine Umfragen, es ist zu merken: Die Leute
interessieren sich für die Bibel, sie fragen nach der Gerechtigkeit
und warum alles so ist, wie es ist, weshalb vieles so verfahren
ist und voller Leid. Sie fragen auf ihre Weise nach dem Reich
Gottes. Überall geht es um Religion und Weltdeutung: Brauchen
nur ins Kino zu gehen: Matrix, Luther, Samurai, Weltraum, Dalai
Lama - da ist alles von Religion durchdrungen - nur in der Kirche
scheint der Glaube manchmal ein Auslaufmodell zu sein.
Eine große Hoffnung bewegt viele: Es sollte etwas besseres,
neues anderes werden. Wenn es einfach so weiterläuft - nicht
auszudenken!
Jesus hat nun aber eine besondere Sorte Gesprächspartner
gehabt. Die Pharisäer haben ihn gefragt. Das sind Leute,
die ihr Etikett weg haben: gesetzliche Leute, die furchtbar streng
sind. Da darf man nichts falsch machen! Eigentlich schon fanatische
Menschen. Jesus redet doch mit ihnen. Hab als Jugendlicher auch
mit Zeugen Jehovas geredet. Ich wunderte mich, daß alle
diese Leute wegschicken, die doch über die Bibel sprechen
möchten. Hab mit ihnen geredet. Spannend. War konfirmiert,
aber da hab ich das erste mal meine Bibel kennengelernt. Bin
kein Zeuge Jehova geworden, die extremen Anschauungen haben mich
nicht überzeugt, aber ich habe meinen christlichen Glauben
kennengelernt und schätzen gelernt.
Wir müssen immer vorsichtig sein mit Pauschalurteilen. Es
gibt nicht die Jugend, die Reichen, die Alten. Wir tun den Menschen
Unrecht, wenn wir sie in einen Topf werfen. Einer der Pharisäer
war der Nikodemus, nach dem später diese Kirche genannt
wurde. Nikodemus hat sich von Jesus prägen lassen. Er hat
seine Fragen gehabt. nach dem Reich Gottes und wie ich hineinkomme.
Und Jesus hat den klugen Nikodemus provoziert. Was, du bist ein
Lehrer der Heiligen Schrift und weißt nicht, daß
du von oben her geboren werden mußt? Ein Nachtgespräch
war das. Wie viele Nachtgespräche habe ich schon geführt.
Meine Frau hat sich Sorgen gemacht, wenn ich um 2:00 nachts noch
nicht wieder zuhause war. In einer lebendigen Kirche ist auch
nachts was los. Kirche muß greifbar sein, erreichbar. Und
ich lade Sie auch ein, sich zu rühren, mich und den Kirchenvorstand
anzusprechen. Es gibt keine unpassende Zeit.
Jesus wurde also nach dem Reich Gottes gefragt: Wann kommt es
endlich?
Seine Antwort ist, wie so oft, eine rätselhafte Antwort.
Das Reich Gottes ist doch mitten unter euch. Luther hat es ein
wenig anders übersetzt: Das Reich Gottes ist inwendig in
euch! sprachlich wunderbar, aber auch nicht leichter verständlich.
Das Reich Gottes mitten unter uns, inwendig in uns. Eine richtig
klare Antwort ist das nicht. Da können eigentlich alle hineinlegen,
was sie wollen. Unsere protestantische Vielfalt kommt mir in
den Sinn:
Der Esoteriker denkt an den göttlichen Funken in sich. Der
Fromme ist überzeugt: Ich habe meinen Jesus im Herzen. Und
wer sich einsetzt für die bessere Welt, der findet sich
auch wieder: das Reich Gottes ist da, wo die Liebe ist, mitten
unter uns.
Doch es kann etwas nicht stimmen, wenn alle sich nur selbst bestätigen
und mit diesen Worten vom Reich Gottes alles als reich Gottes
ausgeben.
Heute ist ja auch ein denkwürdiger Tag. Der 9. November
erinnnert eindrücklich an die Tiefen und Höhen der
Geschichte des deutschen Volkes. Da ist diese unfaßbare
Verirrung, die Juden ausrotten zu wollen, ein Volk anzutasten,
das Gott erwählt hat, aus dem der Sohn Gottes geboren wurde.
Und da ist die unfaßbare Gnade, daß die unmenschliche
Grenze durch Deutschland und Europa über Nacht verschwunden
ist. Alle hatten diese Grenze für letzte Realität gehalten.
Und so viel unermeßliches Leid. Und trotzdem immer wieder
ein Aufleben von Ideen, die den Judenhaß und den Haß
überhaupt schüren. Wir dürfen nicht außer
Acht lassen, daß der schlimme Erfolg des dritten Reiches
darin begründet war, daß den Menschen eine Religion
geboten wurde. Eine Religion, die erschreckend viele im Volk
begeistert hat. Diese Religion entsprach dem Geist der Zeit,
sie war modern. Und sie appellierte bei den Menschen an ihr innneres
Empfinden. Die geister müssen geschieden werden, damals
wie heute. Es ist offensichtlich gefährlich, die Worte Jesu
kurzschlüssig so zu verstehen, daß alle Innerlichkeit
und Zwischenmenschlichkeit schon Reich Gottes ist.
Mir leuchtet ein, daß Jesus ganz etwas anderes meint. Das
Reich Gottes ist mitten unter euch. Mit Fleisch und Blut steht
es zwischen euch. Jesus selbst in Person ist das Reich Gottes.
Gott ist nicht mit Posaunen und Blitzen und göttlicher Vollmacht
über diese Erde hergefallen, um sie zu strafen. Sondern
er ist als Mensch unter die Menschen gekommen. Freundlich, einladend,
erklärend, aber doch mit Deutlichkeit und Klarheit steht
er vor ihnen: Das Reich Gottes hat Fleisch und Blut angenommmen.
Die Pharisäer hat er vom Podest heruntergeholt. Hebt nicht
ab mit euren Endzeitspekulationen. Bleibt auf dem Erdboden, ihr
Frommen. Ich bin hier bei euch. Nicht aus den Wolken kommt das
Heil und nicht aus dem Boden, sondern durch mich, den Menschensohn.
Einerseits ist es wahr: Das Reich Gottes läßt sich
nicht beobachten. Auch als Kirche, auch als Geistliche haben
wir das Reich Gottes nicht in der Hand, es ist nicht verfügbar.
Kirchenbesucher kann man zählen, Zustimmung zu kirchlichen
Angeboten läßt sich messen, aber nicht das Reich Gottes.
Der geist weht, wo und wie er will. Wir könne auf sein Wirken
achten, aber glaube ist nicht methodisch machbar und das Reich
Gottes nicht programmatisch faßbar.
Und doch sagt Jesus: Es kommt, und dann wird jedes Fragen aufhören.
Wie gerne möchten wir doch schon etwas vom Reich Gottes
erleben. Den Jugendlichen reichen nette Sonntagsreden nicht aus.
Die möchten etwas spüren und erleben vom Reich Gottes.
Die wollen alles fragen dürfen und diskutieren, bis es einleuchtet
oder auch nicht. Und so viele warten auf eine glaubwürdige
Kirche. Könnten wir doch auch nur einen der Tage des Menschensohnes
zeigen. Was können wir vorweisen vom Reich Gottes?
Wir haben in unserem neuen zuhause im Keller eine Vorratskammer
eingerichtet. Feine Sachen werden da gelagert. Wenn Sie als Gäste
kommen, dann wird die Tür geöffnet. Sonst ist sie verschlossen.
Unsere Kinder haben aber schon mal hineingespitzt. Und das hat
ihren Appettit geweckt. Sie wissen, auf was sie warten. Als Christen
haben wirs etwas schwerer. Könnten wir doch mehr erleben
im Glauben! Aber Gott greift nicht so häufig ein. Es gibt
weiter kriege und schlimmes Leid. Wir sind sehr auf die Folter
gespannt und manche werden irre am Glauben. Und doch müssen
wir auch durch die dürren Strecken hindurch. Nicht einmal
einen der Tage des Menschensohnes sehen wir jetzt.
Wir leben auf die Hoffnung hin, der Tag des Menschensohnes wird
kommen. So wie Jesus als Mensch unter uns lebte, so wird er in
seiner Herrlichkeit erscheinen. Seine Erscheinung wird sein wie
der Blitz. Unübersehbar. Nicht so oder so zu interpretieren.
Dann wird alle Ungewißheit ein Ende haben. Beweisen läßt
sich diese Zukunftshoffnung der Christen nicht. Eine solche Erwartung
klingt utopisch, märchnhaft. Und es wäre auch nicht
richtig, eine solche Zukunft beobachten zu wollen und ständig
seine Augen am Himmel zu haben. Was Gott tun wird, das können
wir getrost erwarten. Es wird dann nicht zu übersehen sein.
Doch bis dahin bleiben wir schön auf dem Erdboden. Wir lassen
uns nicht irre machen: Hierhin, dorthin, da ist noch mehr Reich
Gottes und auf solche Weise ist der Herr noch näher. Das
ist nur heiilloser Aktionismus. Es gibt viel Irreführung.
Der Hunger wird nicht durch Gentechnik besiegt. Es wird keinen
perfekten Menschen geben. Das Leid wird nicht verschwinden. Und
es werden auch nicht Wunder alle Probleme lösen.
Das Reich Gottes ist mitten unter uns. Dann, wenn wir Jesus in
unserer Mitte Raum geben.
Dann können wir getrost miteinander in die Zukunft gehen.
Die Kirchengemeinde hat einen Kindergarten gegründet, wir
haben gestern ein Apfelbäumchen gepflanzt. Laßt uns
in Liebe unseren Dienst als Christen tun. wir wollen nicht zu
hoch hinaus. Wir wissen: Die Kirche braucht nicht zuerst Geld
und Gebäude und wer weiß was alles an äußeren
Dingen. Sie braucht den Glauben an Jesus Christus, der im Herzen
wohnt. Und sie braucht einen Blick für die Realitäten
und das echte Gespräch, wo Menschen sich ehrlich begegnen.
In diesem Sinne will ich gerne bei ihnen Pfarrer sein. AMEN.
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