Predigt zur Einführung 9.11.2003

Pfarrer Manfred Staude

Vom Kommen des Gottesreiches

Predigttext Lukas 17, 20-24


20 Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: a Das Reich Gottes kommt nicht so, daß man's beobachten kann;

21 man wird auch nicht sagen: Siehe, hier ist es! Oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.
Luther übersetzte Vers 20b.21: »Das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Gebärden... sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch«.
22 Er sprach aber zu den Jüngern: Es wird die Zeit kommen, in der ihr begehren werdet, zu sehen einen der Tage des Menschensohns, und werdet ihn nicht sehen.
23 Und sie werden zu euch sagen: Siehe, da! Oder: Siehe, hier! Geht nicht hin und lauft ihnen nicht nach!
24 Denn wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern, so wird der Menschensohn an seinem Tage sein.

Die Jesusgeschichte, die Frau Samrei vorhin gelesen hat, hat einen guten Anfang. Da reden Menschen miteinander. Gut, wenn Menschen miteinander reden und nicht aneinander vorbeileben. Gut, wenn tiefgehende Fragen gestellt werden können und wenn es echte Antworten gibt. Wo Menschen miteinander reden ist es schön. Schlimm wo gegeneinander, am schlimmsten die Gleichgültigkeit. Du bist für mich, eine Nichtexistenz, eigentlich tot!
Mein erstes Erlebnis in der alten Heide: An der U-Bahnhaltestelle habe ich mein Auto geparkt, nicht besonders gut, eine Ausfahrt verperrt. Nur ganz kurz, wir sollten den Herrn vom Bauamt mitnehmen. Da saß ein Mann auf der Bank, ich steige aus und er gibt mir sehr deutlich zu verstehen, so können wir da nicht stehen bleiben, fängt an zu dirigieren. Dumme Situation. Es hätte Ärger geben können. Doch wir reden miteinander, wir beginnen uns zu verstehen und am Schluß weiß er, daß ich der neue Pfarrer ist und ich habe manches über die Alte Heide erfahren und wir sind vertraut miteinander geworden. Die Leute müssen miteinander reden!
Bei Jesus geht das Gespräch um das Reich Gottes. Nicht Jesus hat die Leute zum Reich Gottes gefragt, sondern sie ihn. Die Leute sind viel mehr am Glauben und an der Religion interessiert, als wir meinen. Eine Untersuchung hat das belegt. Von der Kirche erwarten die Menschen in erster Linie, daß es um den glauben und um Gott geht. Die Kirche muß nicht Hans-Dampf in allen Gassen spielen. Gibt genügend wichtige Fragen, die die Menschen interessieren. Habe mein Auto verkaufen wollen, Nachbar aus Marokko interessiet sich, doch nach einigen Minuten sind wir bei Jesus und Allah und dem Frieden. Eine Studentin kommt uns besuchen und eigentlich war Musik das Thema, doch mehrere Stunden geht es darum, was die Bibel wirklich meint und wie die biblischen Bücher entstanden sind. Auf dem Friedhof ein Angestellter, wechseln ein paar Worte: Er ist zeuge Jehova und wir hätten stundenlang diskutieren können.
Wir brauchen gar keine Umfragen, es ist zu merken: Die Leute interessieren sich für die Bibel, sie fragen nach der Gerechtigkeit und warum alles so ist, wie es ist, weshalb vieles so verfahren ist und voller Leid. Sie fragen auf ihre Weise nach dem Reich Gottes. Überall geht es um Religion und Weltdeutung: Brauchen nur ins Kino zu gehen: Matrix, Luther, Samurai, Weltraum, Dalai Lama - da ist alles von Religion durchdrungen - nur in der Kirche scheint der Glaube manchmal ein Auslaufmodell zu sein.
Eine große Hoffnung bewegt viele: Es sollte etwas besseres, neues anderes werden. Wenn es einfach so weiterläuft - nicht auszudenken!
Jesus hat nun aber eine besondere Sorte Gesprächspartner gehabt. Die Pharisäer haben ihn gefragt. Das sind Leute, die ihr Etikett weg haben: gesetzliche Leute, die furchtbar streng sind. Da darf man nichts falsch machen! Eigentlich schon fanatische Menschen. Jesus redet doch mit ihnen. Hab als Jugendlicher auch mit Zeugen Jehovas geredet. Ich wunderte mich, daß alle diese Leute wegschicken, die doch über die Bibel sprechen möchten. Hab mit ihnen geredet. Spannend. War konfirmiert, aber da hab ich das erste mal meine Bibel kennengelernt. Bin kein Zeuge Jehova geworden, die extremen Anschauungen haben mich nicht überzeugt, aber ich habe meinen christlichen Glauben kennengelernt und schätzen gelernt.
Wir müssen immer vorsichtig sein mit Pauschalurteilen. Es gibt nicht die Jugend, die Reichen, die Alten. Wir tun den Menschen Unrecht, wenn wir sie in einen Topf werfen. Einer der Pharisäer war der Nikodemus, nach dem später diese Kirche genannt wurde. Nikodemus hat sich von Jesus prägen lassen. Er hat seine Fragen gehabt. nach dem Reich Gottes und wie ich hineinkomme. Und Jesus hat den klugen Nikodemus provoziert. Was, du bist ein Lehrer der Heiligen Schrift und weißt nicht, daß du von oben her geboren werden mußt? Ein Nachtgespräch war das. Wie viele Nachtgespräche habe ich schon geführt. Meine Frau hat sich Sorgen gemacht, wenn ich um 2:00 nachts noch nicht wieder zuhause war. In einer lebendigen Kirche ist auch nachts was los. Kirche muß greifbar sein, erreichbar. Und ich lade Sie auch ein, sich zu rühren, mich und den Kirchenvorstand anzusprechen. Es gibt keine unpassende Zeit.
Jesus wurde also nach dem Reich Gottes gefragt: Wann kommt es endlich?
Seine Antwort ist, wie so oft, eine rätselhafte Antwort. Das Reich Gottes ist doch mitten unter euch. Luther hat es ein wenig anders übersetzt: Das Reich Gottes ist inwendig in euch! sprachlich wunderbar, aber auch nicht leichter verständlich.
Das Reich Gottes mitten unter uns, inwendig in uns. Eine richtig klare Antwort ist das nicht. Da können eigentlich alle hineinlegen, was sie wollen. Unsere protestantische Vielfalt kommt mir in den Sinn:
Der Esoteriker denkt an den göttlichen Funken in sich. Der Fromme ist überzeugt: Ich habe meinen Jesus im Herzen. Und wer sich einsetzt für die bessere Welt, der findet sich auch wieder: das Reich Gottes ist da, wo die Liebe ist, mitten unter uns.
Doch es kann etwas nicht stimmen, wenn alle sich nur selbst bestätigen und mit diesen Worten vom Reich Gottes alles als reich Gottes ausgeben.
Heute ist ja auch ein denkwürdiger Tag. Der 9. November erinnnert eindrücklich an die Tiefen und Höhen der Geschichte des deutschen Volkes. Da ist diese unfaßbare Verirrung, die Juden ausrotten zu wollen, ein Volk anzutasten, das Gott erwählt hat, aus dem der Sohn Gottes geboren wurde. Und da ist die unfaßbare Gnade, daß die unmenschliche Grenze durch Deutschland und Europa über Nacht verschwunden ist. Alle hatten diese Grenze für letzte Realität gehalten. Und so viel unermeßliches Leid. Und trotzdem immer wieder ein Aufleben von Ideen, die den Judenhaß und den Haß überhaupt schüren. Wir dürfen nicht außer Acht lassen, daß der schlimme Erfolg des dritten Reiches darin begründet war, daß den Menschen eine Religion geboten wurde. Eine Religion, die erschreckend viele im Volk begeistert hat. Diese Religion entsprach dem Geist der Zeit, sie war modern. Und sie appellierte bei den Menschen an ihr innneres Empfinden. Die geister müssen geschieden werden, damals wie heute. Es ist offensichtlich gefährlich, die Worte Jesu kurzschlüssig so zu verstehen, daß alle Innerlichkeit und Zwischenmenschlichkeit schon Reich Gottes ist.
Mir leuchtet ein, daß Jesus ganz etwas anderes meint. Das Reich Gottes ist mitten unter euch. Mit Fleisch und Blut steht es zwischen euch. Jesus selbst in Person ist das Reich Gottes. Gott ist nicht mit Posaunen und Blitzen und göttlicher Vollmacht über diese Erde hergefallen, um sie zu strafen. Sondern er ist als Mensch unter die Menschen gekommen. Freundlich, einladend, erklärend, aber doch mit Deutlichkeit und Klarheit steht er vor ihnen: Das Reich Gottes hat Fleisch und Blut angenommmen.
Die Pharisäer hat er vom Podest heruntergeholt. Hebt nicht ab mit euren Endzeitspekulationen. Bleibt auf dem Erdboden, ihr Frommen. Ich bin hier bei euch. Nicht aus den Wolken kommt das Heil und nicht aus dem Boden, sondern durch mich, den Menschensohn.
Einerseits ist es wahr: Das Reich Gottes läßt sich nicht beobachten. Auch als Kirche, auch als Geistliche haben wir das Reich Gottes nicht in der Hand, es ist nicht verfügbar. Kirchenbesucher kann man zählen, Zustimmung zu kirchlichen Angeboten läßt sich messen, aber nicht das Reich Gottes. Der geist weht, wo und wie er will. Wir könne auf sein Wirken achten, aber glaube ist nicht methodisch machbar und das Reich Gottes nicht programmatisch faßbar.
Und doch sagt Jesus: Es kommt, und dann wird jedes Fragen aufhören. Wie gerne möchten wir doch schon etwas vom Reich Gottes erleben. Den Jugendlichen reichen nette Sonntagsreden nicht aus. Die möchten etwas spüren und erleben vom Reich Gottes. Die wollen alles fragen dürfen und diskutieren, bis es einleuchtet oder auch nicht. Und so viele warten auf eine glaubwürdige Kirche. Könnten wir doch auch nur einen der Tage des Menschensohnes zeigen. Was können wir vorweisen vom Reich Gottes?
Wir haben in unserem neuen zuhause im Keller eine Vorratskammer eingerichtet. Feine Sachen werden da gelagert. Wenn Sie als Gäste kommen, dann wird die Tür geöffnet. Sonst ist sie verschlossen. Unsere Kinder haben aber schon mal hineingespitzt. Und das hat ihren Appettit geweckt. Sie wissen, auf was sie warten. Als Christen haben wirs etwas schwerer. Könnten wir doch mehr erleben im Glauben! Aber Gott greift nicht so häufig ein. Es gibt weiter kriege und schlimmes Leid. Wir sind sehr auf die Folter gespannt und manche werden irre am Glauben. Und doch müssen wir auch durch die dürren Strecken hindurch. Nicht einmal einen der Tage des Menschensohnes sehen wir jetzt.
Wir leben auf die Hoffnung hin, der Tag des Menschensohnes wird kommen. So wie Jesus als Mensch unter uns lebte, so wird er in seiner Herrlichkeit erscheinen. Seine Erscheinung wird sein wie der Blitz. Unübersehbar. Nicht so oder so zu interpretieren. Dann wird alle Ungewißheit ein Ende haben. Beweisen läßt sich diese Zukunftshoffnung der Christen nicht. Eine solche Erwartung klingt utopisch, märchnhaft. Und es wäre auch nicht richtig, eine solche Zukunft beobachten zu wollen und ständig seine Augen am Himmel zu haben. Was Gott tun wird, das können wir getrost erwarten. Es wird dann nicht zu übersehen sein.
Doch bis dahin bleiben wir schön auf dem Erdboden. Wir lassen uns nicht irre machen: Hierhin, dorthin, da ist noch mehr Reich Gottes und auf solche Weise ist der Herr noch näher. Das ist nur heiilloser Aktionismus. Es gibt viel Irreführung. Der Hunger wird nicht durch Gentechnik besiegt. Es wird keinen perfekten Menschen geben. Das Leid wird nicht verschwinden. Und es werden auch nicht Wunder alle Probleme lösen.
Das Reich Gottes ist mitten unter uns. Dann, wenn wir Jesus in unserer Mitte Raum geben.
Dann können wir getrost miteinander in die Zukunft gehen. Die Kirchengemeinde hat einen Kindergarten gegründet, wir haben gestern ein Apfelbäumchen gepflanzt. Laßt uns in Liebe unseren Dienst als Christen tun. wir wollen nicht zu hoch hinaus. Wir wissen: Die Kirche braucht nicht zuerst Geld und Gebäude und wer weiß was alles an äußeren Dingen. Sie braucht den Glauben an Jesus Christus, der im Herzen wohnt. Und sie braucht einen Blick für die Realitäten und das echte Gespräch, wo Menschen sich ehrlich begegnen. In diesem Sinne will ich gerne bei ihnen Pfarrer sein. AMEN.

Nikodemuskirche München-Schwabing (Alte Heide)

Für den Inhalt verantwortlich: Evangelisch-Lutherisches Pfarramt Nikodemuskirche, Rheinlandstraße 4, D-80805 München, Pfarrer Manfred Staude

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Letzte Änderung: 17.10.2004