Predigt gehalten zu Grossau / Siebenbürgen

und Hamlesch / Siebenbürgen

am 12. Sonntag nach Trinitatis 2004

Grundlage: Apostelgeschichte des Lukas 9, 1-9

Pfarrer Manfred Staude

Predigttext Apostelgeschichte des Lukas 9, 1-9

"9,1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Mor-den gegen die Jünger des Herrn und ging zum Ho-henpriester
2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synago-gen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe.
3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel;
4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.
6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.
7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, stan-den sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden.
8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus;
9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht." Kol. 4, 2-6

Vier Wochen bin ich nun in Siebenbürgen und habe manches erlebt. Ein Wort habe ich ich immer wieder gehört: Das Wort Gauner. Da wohnt ein Gauner. Der ist ein Gauner. Die sind alle Gauner.
Auch in diesem schönen Land gibt es also Gauner. Warum auch nicht, es gibt überall Gauner. Und da, wo es angeblich keine Gauner gibt, sind die größten Gau-ner.
Gauner wollen wenig arbeiten und doch ganz gut le-ben. Gauner verkaufen schlechte Ware, schenken schlechten Schnaps aus und wollen damit doch gutes Geld machen. Gaunern geht es besser als ordentlichen Menschen, durch ihre Gaunerei haben sie mehr als die ehrlichen Menschen.
Die Gauner lassen sich Geld bezahlen, damit du schneller über die Grenze kommst. Die Gauner lassen sich extra Geld bezahlen, damit du im Krankenhaus ordentlich behandelt wirst. Die Gauner nutzen deine Not aus und machen damit Geld. Wir können das auch Erpressung nennen.
In der Not ist fast jeder schon zum Gauner geworden, als es kaum zu essen gegeben hat. Ein bißchen Gauner steckt in jedem drin. Und wenn es zu viele Gauner gibt, dann muß ich ja auch ein Gauner werden, denn die Gauner verstehen nur die Sprache und die Art der Gauner.
Es gab noch schlimmere Zeiten ­ da haben die Gauner das Sagen gehabt und keiner konnte Einhalt gebieten. Da sind die Menschen verschleppt worden. Da sind Felder und Häuser und Besitz genommen worden und niemand konnte etwas dagegen tun.
Es gibt große Gauner und kleine Gauner. Die kleinen sind manchmal sogar liebenswert. Da gibt es den Dieb, der immer eine Kerze in der Kirche anzündet, wenn er Erfolg gehabt hat. Und er sagt, daß die anderen die richtigen Gauner sind, die lauter viel schlimmere Sa-chen machen. Und da gibt es die großen Gauner, die sind so gefährlich, weil sie die ganze Moral verderben und die Kleinen zum Bösen verleiten. Die Sünde ist der Leute Verderben und zerstört ein Land.
Da gibt es die dummen und die schlauen Gauner. Die dummen Gauner erkennt jeder und sie kommen nicht weit. Unrecht Gut gedeiht nicht gut. Und die schlauen Gauner, die sind hochangesehen und alle verehren sie. Aber Gott kennt sie doch!
Auch saulus, von dem wir heute gehört haben, ist ein Gauner! Saulus ist ein ganz besonderer Gauner. Ein sehr gefährlicher Gauner.
Er nimmt den Christen ein hohes Gut, die Freiheit. Es ist ihm nicht genug, in Jerusalem zu wüten, nein, er will auch die Christen in Damaskus fangen, fesseln und abtransportieren. Die älteren Menschen hier können davon auch ein Lied singen. Nach dem Krieg wurden sie als Deutsche aussortiert und im Viehwagen fort-geschafft. Ganz schlimm ist das. Und ich erzähle es al-len, die die Kirche in Grossau besuchen. Alle Wahrheit muß gesagt werden und das Schlimme soll sich nicht wiederholen.
Nicht nur die Freiheit nimmt der Saulus den Christen, auch die Freiheit des Glaubens raubt er ihnen. Sie dürfen nicht an Christus glauben. Sie dürfen nicht dem Wort Gottes und ihrem Gewissen folgen. Die Landler wissen ein Lied davon zu singen, daß die Frei-heit des Glaubens das höchste Gut ist. Weil sie Jesus liebten und den freien Glauben an ihn nicht verleug-nen wollten, wurden auch sie abtransportiert. auch das erzähle ich den Besuchern. Und hier gibt es schon seit der Reformationszeit Toleranz im Glauben und keine Religionskriege.
Saulus aber ist ein religöser Überzeugungstäter. Er weiß gar nicht, daß er ein Gauner ist. Im vollsten Brustton der Überzeugung sagt er: "Ich bin im Recht." "Ich muß so streng sein. Gott fordert das. Diese Chris-ten sind Abtrünnige vom Glauben der Väter. Sie haben die Traditionen verraten, die alle zusammenhalten seit Jahrhunderten. Diese Christen handeln gegen alle Sitte und Moral. Sie beten einen Verbrecher an. Denn Jesus wurde am Kreuzespfahl hingerichtet. Und wer an diesem Holze stirbt, der ist von Gott verflucht." Es ist schwer, dem Saulus zu widersprechen. Und doch ist er ein Gauner.
Die kleinen und die großen Gauner, von denen ich erzählt habe, das sind Gauner, die wir durchschauen. So etwas wie die, tun wir gewöhnlich nicht. Der Saulus aber ist ein Gauner von ganz anderem Kaliber ­ solche Gauner könnten wir vielleicht auch sein! Überhaupt nicht verstehen, wenn jemand aus der Reihe tanzt. Den Kindern vorschreiben, wen sie zu lieben und zu heiraten haben. Eifern für das Richtige, ohne Rück-sicht. Wachen daß niemand eine Grenze überschrei-tet, als hätte Gott selbst alle menschlichen Grenzen geschaffen. Alles für die gute Sache, weil es ja schon immer so war. So war es dem Saulus heilig. Und er hat sich dafür sogar die Bestätigung von oben geben las-sen. Die Hohenpriester haben seinen Eifer abgeseg-net.
Und trotzdem hat der Saulus nicht recht. Er ist ein gefährlicher Gauner. Gerade weil alle denken: Er hat das Recht auf seiner Seite und er hat Gott auf seiner Seite. Da kann man sich gewaltig irren, auch wenn man es so gut meint. Das muß uns der Paulus schon sa-gen dürfen.
Es ist so eine Sache mit den Gaunern. Jeder denkt: die anderen sind Gauner. Ich nicht so sehr. Im Nachbar-haus, da wohnen die Gauner, im Nachbardorf, die mit dem anderen Glauben, die aus dem anderen Volk ­ das sind richtige Gauner. Und das mag ja sogar stimmen. Hier in der Kirche sitzen sicher fast nie richtige Gauner. Aber solch ein Gauner, wie der Saulus einer war, könnte ich schon eher sein.
In einem Kloster lebte eine ganz fromme Nonne. Ei-nes tages erzählte sie, daß Jesus ihr persönlich er-schienen ist. Und Jesus hat ihr besondere Worte ge-sagt. Es waren gute Worte und doch war die Äbtissin ratlos. Ging das alles mit rechten Dingen zu? Ein er-fahrener Priester wurde gebeten zu kommen und die Echtheit zu prüfen. Bevor der Priester ankam, tappte er in einige Pfützen und hatte sehr schmutzige Schu-he. Sofort bat er die fromme Nonne zu sich und fragte sie nicht etwa nach ihren besonderen Erscheinungen, sondern bat sie nur, ihm die Schuhe zu putzen. Das sei nicht ihre Aufgabe, meinte die fromme Nonne verär-gert, das könne er auch selber machen. Nun war die Prüfung beendet und für den Priester war die from-me Nonne als fromme Gaunerin entlarvt.
Wer etwas richtiges weiß, aber nicht das rechte Herz und nicht die rechte Demut hat, der ist nur eingebil-det. Und das ist nicht im Sinne unseres Herrn.
Jetzt haben wir uns vor allem die Gauner angesehen. Aber da gibt es ja noch andere Menschen, von denen wir nichts hören. Die Christen in Damaskus, denen die Verfolgung droht, die Opfer. Es gibt so viele Opfer, die Ehrlichen, die Gläubigen. Alle, die nicht genug Zeit und Geld haben, um zu ihrem Recht zu kommen.
Wie reagieren diese Opfer? In dieser Geschichte er-fahren wir es nicht. Aber wenn wir weiterlesen, er-fahren wir schon etwas. Sie haben Angst gehabt. Sie haben gebetet. Und sie haben mit dem Schlimmsten gerechnet. Sie haben sicher gebetet, daß Jesus ihnen hilft. Daß der Saulus sie nicht findet, daß sie verschont werden von diesem Wüterich. Aber eines haben sie bestimmt nicht gebetet: "Herr, laß diesen Saulus an-ders werden. Wirf ihn vom Pferd und laß sein Herz mit Liebe zu dir erfüllt werden. Mach deinen Gesandten aus ihm." so etwas konnten sich die Christen nicht vorstellen. so groß war ihr Glaube nicht. Das konnte nur Jesus selber tun.
Denken wir nicht oft auch viel zu bald: "Da kann man nichts machen!" Es sind einfach zu viele Gauner und sie haben zu viel Macht und kein Herz. Da kann man doch nichts machen.
Aber Gott hat getan, was keiner erwartet hat. Er hat einen Saulus aus dem Sattel geworfen, obwohl der eine Truppe Bewaffneter um sich gehabt hat.
Aber der Herr Jesus Christus hat noch mehr getan. Er hat mit Saulus gesprochen. Er hat ihn gefragt: Was verfolgst du mich? Saulus war ja überzeugt, er tut et-was Gutes und hat doch genau das Gegenteil gemacht, er hat den Gott verfolgt, dem er dienen wollte. Saulus bekommt die Chance, sich zu ändern. So gnädig ist Gott! Er bemüht sich auch um die Gauner. Da fährt kein Blitz vom Himmel und erschlägt den Gauner. Je-sus stellt sich diesem Gauner zwar in den Weg, doch Jesus meint es gut ­ er sucht ihn.
Saulus hat seinen eigenen Willen. Saulus hätte auch sagen können: Diese Stimme war eine Einbildung, al-les war ein Trugbild, ja eine Versuchung des Teufels. Wer nicht hören und sehen will, der hört und sieht auch nicht. Wer nicht lassen will von seinem falschen Weg, der läßt sich durch einen Widerstand nicht auf-halten. Alle Diktatoren haben sich nicht aufhalten lassen.
Saulus aber hat gehört, hat alles überdacht, hat das Steuer herumgerissen. Doch erst mußte ihm die Er-kenntnis kommen: Ich bin blind. Ich bin ein Narr, ich habe mich verrannt in eine Sackgasse. Das ist eine bittere Erkenntnis. Keiner gibt gerne zu, daß er sich geirrt hat.
So sehr der Saulus gewütet hat. Wie stark er auch schien. Er war ein armer Mensch. Er war innerlich blind. eine furchtbare Krankheit. Er war blind, er konnte nicht die Wahrheit sehen. Und sein Herz war krank. Verhärtet, stolz ­ Eine schlimme tödliche Herz-krankheit. Nun ist er traurig: Er ißt nicht und er trinkt nicht. Ihm ist klar geworden, wie verkehrt alles war. Und doch spricht Gott mit ihm freundlich.
Jeder Gauner kann geheilt werden. Ja, es ist der Wille unseres Herrn Jesus Christus: Der Himmel soll gefüllt werden und die Hölle soll geplündert werden.
Wir brauchen nicht zu kleinlich glauben. Es ist zwar wahr: Man kann so oft nichts machen. Aber wer ist schon man. Man ist so allgemein. Das ist jeder und niemand. Schon icht kann etwas bewirken. Ein Böser Mensch mit einem Messer kann einen Menschen im Bus in Angst versetzen. Die anderen schauen weg. Sie fürchten, hoffentlich tut er mir nichts. Ich könnte schon etwas tun. Ich muß nicht einmal ein Held sein. Ich muß auch nicht schlägern. Ich kann andere an-sprechen. Leute, die ich nicht kenne. Sie, da, mit dem roten Hemd, haben sie auch gesehen, daß da jemand bedroht wird. Und auf einmal ist der Bedrohte nicht mehr allein.
Wir brauchen nicht klein beigeben, nicht wegschau-en. Und Mut macht uns, daß wir einen gott haben, der Unglaubliches kann. Er kann Machthaber stürzen. Er kann Wunder vollbringen. Doch das Größte ist: Er kann Gauner umwandeln, große und kleine, dumme und schlaue. Er kann Blindheit heilen, kranke Herzen zur Liebe führen. AMEN.

Nikodemuskirche München-Schwabing (Alte Heide)

Für den Inhalt verantwortlich: Evangelisch-Lutherisches Pfarramt Nikodemuskirche, Rheinlandstraße 4, D-80805 München, Pfarrer Manfred Staude

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Letzte Änderung: 17.10.2004