Predigt gehalten zu Grossau / Siebenbürgen

und Hamlesch / Siebenbürgen

am 13. Sonntag nach Trinitatis 2004

Grundlage: 1. Johannesbrief 4, 7 ­ 12

Pfarrer Manfred Staude

Predigttext 1. Johannesbrief 4, 7 ­ 12

"7 Ihr Lieben, laßt uns einander liebhaben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott ge-boren und kennt Gott.
8 Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.
9 Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. a
10 Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.
11 Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.
12 a Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen." 1. Joh. 4, 7-12

Der Apostel Johannes legt uns Christen die Liebe ans Herz. Johannes ist ja bekannt als der Apostel der Lie-be. Er ist es, der vom sterbenden Jesus den Auftrag bekommen hat, sich um Maria zu kümmern, die Mut-ter, die zurückbleibt und Schutz braucht. So hat Jo-hannes manche Lebenspläne aufgeben müssen. Die geforderte Liebe hat seinen Lebenslauf verändert. So sehr hat ihn diese Erfahrung der Liebe geprägt, daß ihm das Gebot der Liebe die wichtigste Predigt ge-worden ist. Als alter Mann konnte er keine langen Predigten mehr halten. Doch eines konnte er noch sagen, wenn er in die Kirche getragen wurde: Kinder. liebt einander. Die Liebe ist das Kennzeichen, an dem wir als Christen erkannt werden. Aus der Liebe eines Christen kann ich seinen Glauben erschließen.
Besonders deutlich wird die Liebe am Anfang des Le-bens, wenn ein Mensch geboren wird und am Ende des Lebens, wenn ein Mensch aus diesem Leben scheidet. Da ist er ganz auf die Liebe angewiesen.
Wenn ich nicht in Siebenbürgen bin, lebe ich ja in der deutschen Großstadt München. Ich München haben wir einige sehr große Friedhöfe und ich bin viel am Nordfriedhof tätig. Es kommt immer wieder vor, daß mir Verstorbene gemeldet werden und da ist kein Angehöriger. Einsame Menschen sind da gestorben, die zu niemandem eine nähere Beziehung gehabt ha-ben. Oder die Beziehungen sind zerrüttet und die Verwandten und Bekannten wissen nichts mehr von-einander. Da ist es schon vorgekommen, daß niemand mit ans Grab gegangen ist außer den Totengräbern, die von der Stadt bezahlt werden. Sie senken den Verstorbenen in seinem Sarg ins Grab und dann ver-schwinden auch sie. Sie haben ja nichts mit diesem Verstorbenen. Zugeschaufelt wird das Grab erst spä-ter. Das ist erschütternd, wenn keiner da ist, der trau-ert, niemand dem Verstorbenen die letzte Ehre er-weist ­ außer dem Pfarrer. Jeder wird zwar begraben. Die Sozialhilfe zahlt. Doch das ist eine allgemeine Regelung. Das Geld kann die fehlende Liebe nicht ersetzen.
Auch hier habe ich eine Beerdigung miterlebt. Frau XXX, eine Sächsin wurde zu Grabe getragen. 25 Jahre lebte sie im Nervenkrankenhaus und nicht mehr viele haben sie gekannt. Nach der Beerdigung sagte je-mand zu mir: Das war wohl die kleinste Beerdigung, die wir je gehabt haben. Und doch waren etwa 20 Leute gekommen: Sachsen, Landler, Rumänen und Zigeuner zur letzten Tat der Liebe vereint. Eine ru-mänische Frau kümmerte sich um alles, besorgte die Totengräber und richtete das Tränenmahl aus. Die Wirtschafterin des Pfarrhofes half das Grab suchen. Der Glöckner und ein Grossauer halfen tatkräftig mit. Es ist eine bewegende Tat der Liebe, wenn alle schweigend verharren, während das Grab in Würde zugeschaufelt wird. Sorgfältig wird die Erde hoch auf-geschichtet, dann wird das Kreuz aufgerichtet und es werden die Blumen schön ausgelegt als letzter Gruß.
Sicher war früher, als die Nachbarschaften noch be-standen, alles noch viel besser möglich. Und doch, hier hat sich eine neue Gemeinschaft gebildet und Liebe ist spürbar.
Wir Menschen sind auf Liebe angewiesen. Wir können nicht alles allein. Im Tod wird das deutlich, wo keiner mehr sich selber helfen kann.
Alles Leben braucht Fürsorge. Schon an den Enten-kindern habe ich das hier erleben können. Sie brau-chen Wärme, sie brauchen nachts einen sicheren Raum. Jede Spalte muß verschlossen sein, damit der Marder, dieser gnadenlose Mörder, keinen Zugang findet. Und die Entenmutter zischt böse, wenn einer ihren Jungen zu nahe kommt. Und doch sind die En-tenkinder schon so viel selbständiger als die kleinen Menschenkinder. Die Entenkinder können schon lau-fen und selber fressen. Wie wären unsere Mütter froh gewesen, wenn wir das nach der Geburt schon ge-konnt hätten.
Der Mensch braucht noch viel mehr Liebe, die Men-schenbabys, auch die Kinder und Jugendlichen brau-chen noch viel länger und intensiver die Liebe als die Tiere. Sonst verkümmern sie und werden krank an ihrer Seele. Zur Liebe gehört auch, daß wir lernen, was gut ist und was böse. Denn ein Menschen weiß das nicht von Natur aus. Es muß ihm gesagt und gezeigt und immer wieder eingeschärft werden. Lernt ein Mensch nicht, was gut und böse ist, lernt er das Fal-sche, dann kann er schlimmer werden als die Raub-tiere, die nur ihrem Instinkt folgen.
Wird ein Tier alt und schwach und hat Schmerzen, dann kann es sein, daß wir es töten, aus Mitleid. Aber niemand wird das mit einem geliebten Menschen tun, wenn noch eine Spur von Ehrfurcht und Achtung in sich trägt. Jeder Mensch ist wertvoll, wir kümmern uns um ihn, so viel wird aufgeboten, daß auch der kranke und schwache noch leben kann und seine Lei-den gelindert werden.
Der alte, schwache und kranke Mensch muß aber auch die Liebe annehmen. Er darf nicht denken: Ich bin es nicht mehr wert. Er darf nicht denken: Für mich soll keine zeit und kein geld aufgewendet werden. Gerade die Kranken zeigen uns, daß wir als Menschen geliebt sind, weil wir Gottes geliebte Geschöpfe sind. Wir sind nicht geliebt, weil wir etwas leisten oder weil wir nützlich sind. Wir sind einfach geliebt, weil Gott uns als Menschen Würde und Ehre geschenkt hat. Auch wenn wir nichts mehr tun können. Auch das müssen wir noch lernen, wenn wir älter und schwä-cher werden.
Die menschliche Liebe aber kennt auch Grenzen. Wir haben es nicht gelernt, daß jeder jeden gleich lieben soll. Das ist ja auch gar nicht möglich. Zuerst lieben wir die Menschen, denen wir verbunden sind. In der Fa-milie, im Volk, in der Nachbarschaft. Es hat seinen gu-ten Sinn, daß jemand, der neu zugezogen ist in einen sächsischen Ort, hineingenommen wird in die Nach-barschaft und daß er dazu auch sein Teil gibt. Es ist richtig, daß wir zur Liebe auch verpflichtet werden und lernen und wissen, was zu tun ist, damit die Liebe gepflegt wird.
So ist die Liebe ein Geben und Nehmen. Sie beruht auf Gegenseitigkeit. Und wer jetzt stark ist und meint, daß er niemanden braucht, der kann nicht wissen, ob es morgen nicht schon ganz anders sein wird. Der, der heute stark ist und geben kann, kann morgen schwach sein und braucht die Hilfe.
Unsere menschliche Liebe ist also ein geben und nehmen. Und wir achten auch darauf, daß da ein ge-rechter Ausgleich ist. Es wäre nicht gut, wenn einer immer nur nimmt und ein anderer immer nur gibt.
Bei Gott aber ist es anders als bei uns Menschen. Gott zeigt uns eine Liebe, die alle unsere Liebe noch über-steigt. Gott hat nur gegeben. Er hat unsere Not gese-hen, auch unsere Bosheit, wie jeder auf das Seine sieht und krampfhaft festhält an seinem Vorteil, der doch morgen schon vergangen ist.
Und Gott hat gesagt: Ich lasse diese Menschen doch nicht allein. Er könnte als Gott ja sagen: sollen sie doch sehen, wo sie hinkommen ­ es ist ihre eigne Schuld. Gott hat beschlossen: Auch wenn sie böse sind von Ju-gend auf, auch wenn sie im Streit und im Suff nicht mehr wissen, was sie tun und sich schlagen und töten, ich liebe sie trotzdem. Auch wenn sie mich nicht ernst nehmen und nur zum Schein fromm sind und sich nicht mehr um mich scheren, wenn es ums Geld und um den Besitz geht, ich liebe sie dennoch. Auch wenn es mich alles kostet. Und so hat Gott seinen Sohn ge-sandt. Am Kreuz hat sein Weg geendet. Denn diese Liebe hat die Menschen geärgert. Sie wollten nicht hören, daß sie ferne sind von Gott. Sie wollten nicht blicken in die Abgründe des eigenen Herzens. Sie hatten sich so eingerichtet und wollten nicht, daß Gott sich zu sehr einmischt ins Leben. Aber Gott hat es aus Liebe getan. Er kennt die Sünden, auch die ver-borgenen. Er weiß, daß wir Menschen die Sünden nicht fortschaffen können. Er weiß, wie schwer es ist, die Menschen zu versöhnen, wenn sie auf ihrem Recht bestehen. Und so hat Gott alles gewagt. Am Kreuz ist seine Liebe sichtbar geworden. So sehr liebt er mich, daß er für mich stirbt. Er schenkt mir sein Leben. Ich kann Gott nichts geben, was er nicht schon hätte. Ich kann mich nur lieben lassen. Mich lieben lassen, seine Liebe annehmen, das heißt glauben. Damit mache ich Gott die größte Freude, wenn ich mich versöhnen lasse, mit ihm und mit den anderen Menschen, die genauso die Liebe brauchen wie ich.
Wer sich so geliebt weiß, der wird auch lieben. Nicht nur, weil es nötig ist, sondern von Herzen. Ein guter Baum bringt gute Früchte. Nicht weil er muß, sondern es liegt in seinem Wesen. Das schenke Gott uns allen, daß wir lieben, weil er uns liebt. Und daß unsere Liebe die Grenzen der Vernunft überschreitet, wie ja auch Gott die Grenzen überschritten hat und uns angenommen hat. AMEN.

Nikodemuskirche München-Schwabing (Alte Heide)

Für den Inhalt verantwortlich: Evangelisch-Lutherisches Pfarramt Nikodemuskirche, Rheinlandstraße 4, D-80805 München, Pfarrer Manfred Staude

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Letzte Änderung: 17.10.2004