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    Paula - ein Mastino Napoletano aus einem Tierheim wurde zum Rettungshund

Ein Artikel von Liane Kaiser aus der Hunde-Revue 8/2000, mit freundlicher Genehmigung von Liane Kaiser und Frau Doris Baumann (Chefredakteurin der Hunde-Revue).

Paula - Ein Mastino als Rettungshund

Wann Paula geboren wurde ist uns nicht bekannt und wir fragen uns hin und wieder wie ihre früheste Jugend wohl ausgesehen hat, denn als ich Paula im Juni 1998 kennen lernt, stand sie den meisten Menschen mißtrauisch gegenüber. Doch dazu gleich mehr. Irgendwann landete Paula, da muß sie etwa sechs Monate alte gewesen sein, im Tierheim, nachdem man sie einfach an einem Bagger angebunden und ihrem Schicksal überlassen hatte. Nach zirka einer Woche im Tierheim wurde sie von Verena entdeckt. Von ihr sollte sie zunächst über Pfingsten mit nach Hause genommen und danach zurück ins Tierheim gebracht werden. Doch daran war im Anschluß an die Feiertage gar nicht mehr zu denken, denn Verena hatte längst ihr Herz an Paulas sorgenvoll dreinblickende Auge, ihre vielen Falten und ihre Sabbel-Lefzen verloren.

Etwa drei Monate später tauchten Paula und Verena dann bei uns, in der Rettungshundestaffel Hessen-Mitte der Johanniter Unfallhilfe in Gießen auf, fest dazu entschlossen, aus Paula einen echten Rettungshund zu machen.

Geduld ist angesagt

Anfangs sah die Sache nicht sehr erfolgversprechend aus. Paula war sehr unsicher. Sah man sie an, fühlte sie sich bedroht und verbellte die entsprechende Person heftig, ihre Stimme und Körperhaltung - eine Mischung aus Angst und Wut. Mit ein paar Leckerchen und vielen guten Worten gewannen zumindest die weiblichen Mitglieder der Staffel schnell Paulas Vertrauen. Mit den Staffel-Männern war das weitaus schwieriger! Ein Rettungshund ist dazu ausgebildet, Personen aufzuspüren und seinem Hundeführer anzuzeigen, sei es in Wald und Feld oder unter Trümmern (in einigen Staffeln auch unter Schnee oder unter Wasser). In unserer Staffel zeigen die Hunde einen Fund durch Verbellen an. Der Hund muß zunächst lernen, auf Kommando zu bellen. Bei Paula Hatten wir hierbei alles andere als leichtes Spiel.

Zwar bellte sie immer noch, wenn sie verunsichert war, aber warum bellen, wenn es scheinbar gar keinen Grund dafür gab? An Zottel- und Zerrspielchen mit der Beißwurst, in unserer Staffel aus verschiedenen Gründen bevorzugte Belohnung, war aufgrund Paulas Unsicherheit gar nicht zu denken. Leckerchen schmeckten schließlich auch ohne Bellen und von Bedrohung keine Spur. Paula schien denn Sinn nicht zu verstehen. Erschweren kam hinzu, daß die relativ kleinen und trockenen Happen immer irgendwie in den Weiten von Paulas Lefzen verschwanden, festklebten oder nach einiger Zeit, leicht aufgeweicht wieder aus dem Maul herausfielen. Tja bei einem Mastino verläuft eben alles in etwas anderen Dimensionen.Der letzte Versuch Nach den ersten, für alle Beteiligten recht unbefriedigten Wochen packten wir schließlich unsere allerletzte, schärfste Waffe aus, um Paula zum Bellen zu bringen. Es war die Ultima ratio, der absolut letzte Versuch, nachdem sie sich durch keine unserer unzähligen Versuche (zum Beispiel Anpusten, Spritzen mit der Wasserpistole,......) hatte aus der Ruhe bringen lassen: wir packten die guten Schinkenwürstchen einer Billig-Discount-Kette aus! Es ist eine Tatsache, daß wir mit eben diesen Schinkenwürstchen bisher jeden Hund geknackt haben (glauben Sie mir, wir haben mit Würstchen anderer Lebensmittelvermarkter experimentiert, mußten aber immer wieder auf jene der Billig-Discount-Kette zurückgreifen....). Was soll ich sagen, auch bei Paula hat unsere Wunderwaffe funktioniert. Ihr erster Beller war zwar mehr ein klägliches Fiepsen, aber mit der Zeit entwickelte sich daraus ein Jaulen mit einem angedeutetem Beller, daraus ein fast-schon-Beller, daraus ein halber Beller und irgendwann fiepste, jaulte und bellte sie gleichzeitig, um ihre geliebten Wurststückchen zu bekommen. Verständlich daß wir Ausbilder mit stolz geschwellter Brust umherliefen, die guten Schinkenwürstchen nur so ganz nebenbei erwähnten und uns im Scheine der bellenden Paula aalten.

Zweifel kommen auf

Bei Verbellübungen zeigte Paula zwar Temperament, bei Kurzsuchen jedoch fehlte es ihr etwas an Elan. Würde ein Hund mit ihrer Körpermasse und Behäbigkeit freudig und sicher über Trümmer klettern, beziehungsweise sich ausdauernd über und durch dichtes Unterholz arbeiten oder das enorme Laufpensum in einem Flächeneinsatz schaffen? Würde der Hund bei Hitze nicht sofort schlapp machen? Die Ausbildung zum zuverlässigen Einsatzhund dauert in der Regel zwei Jahre; bei Paula, so fürchteten wir, noch länger. Dann wäre Paula bereits drei bis vier Jahre alt . Bei der niedrigen Lebenserwartung der Molosser...

Fragen und Zweifel, die uns quälten, aber wir machten weiter, nicht zuletzt deshalb, weil die ganze Staffel Paula liebt. Ihr Gesicht mit den unzähligen Denker-und Sorgenfalten, wiederholt bevorzugtes Ziel unserer Fotolinsen, Ihre dicken Pfoten, die immer irgendwie an ein Baby-Nilpferde erinnern, ihre Fähigkeit auch im größten Tumult gelassen auf der Seite liegen zu bleiben, die Augen halb geschlossen, nur hin und wieder die eine oder andere Augenbraue nach oben ziehend. Regelmäßig sorgt sie für unsere Erheiterung, wenn Verena wieder einmal versucht, bei der Unordnung ein klitzekleines bißchen Schäferhund-Temperament aus ihr herauszukitzeln, wenn das schläfrig anmutende Mastino-Gesicht in Erwartung eines Leckerchens plötzlich aufzuwachen scheint und kein Schäferhund dann in sachen Temperament mit ihr konkurrieren könnte. Wenn ihre Hautfalten beim Toben über den ganzen Körper vor und zurück rollen, wenn ihre Ohren und Lefzen im Galopp auf und nieder fliegen und es scheinbar nur ihre 42 Kilo Lebendmasse sind, die sie davon abhalten, abzuheben. Wenn es wieder einmal nicht der eigene Hund oder Overall ist, auf dem sie in freundschaftlichster Verbundenheit dezente Sabbelspuren verteilt, sondern der des Staffelkollegen.

Nur nicht aufgeben

Mit wachsendem Vertrauen in uns Menschen und zunehmender Festigung ihres Charakters machte Paula in ihrer Rettungshundeausbildung immer größere Fortschritte. Man kann wirklich nicht sagen, daß ein (oder dieser) Mastino berauschend schnell lernt. Im Gegenteil, häufig traten wir lange auf der Stelle und oft fragte ich mich im Stillen, ob wir möglicherweise am Ende dessen angekommen waren, was für einen Mastino in Sachen Ausbildung möglich war. Doch immer wieder ging es weiter und bald stellte sich heraus, daß Paula zwar langsamer lernte als andere Hunde, im Gegensatz zu diesen das Erlernte aber nicht wieder vergaß. Als Opfer wählten wir für sie zunächst a) Helfer, die erfahren darin waren, für Junghunde als Opfer zu fungieren (das richtige verhalten des Helfers ist Dreh- und Angelpunkt in der Rettungshundeausbildung) und b) Personen, bei denen Paula keinerlei Verunsicherung zeigte. ganz langsam erweiterten wir diesen Personenkreis und bauten auch Männer als Opfer ein. Das ein oder andere Mal ging diese Gewöhnungsübung gründlich daneben, vor allem dann, wenn sich das männliche Opfer als weit weniger erfahren herausstellte, als angenommen. Nur langsam akzeptierte Paula, daß es durchaus angenehme Seiten haben kann, sich einem Mann zu nähern.

18 Monate danach

Wenn ich Paula heute arbeiten sehe, sind alle Zweifel, die ich jemals hatte, verflogen. Beim Ansatz zur Suche muß sich Verena mittlerweile fest in den Boden stemmen, um nicht einfach hinter Paula herzufliegen, weil sie kaum noch zu halten ist, wenn sie merkt, daß es zur Suche geht. Endlich von der Leine gelassen, rast sie dann mit fliegenden Lefzen und rollenden Falten in ihr Suchgebiet. in den Trümmern bewegt sie sich leichtfüßig, wie ein Reh, punktgenaues lokalisieren beherrscht sie in Perfektion. In der Fläche flitzt Paula, deren natürliche Körperhaltung sonst eindeutig die stabile Seitenlage ist, in Galopp oder schnellen Trab durch das Gelände und arbeitet sich bulldozergleich auch durch das dichteste Unterholz.Immer ist das Gesicht gespannt und aufmerksam, immer wedelt die Rute in freudiger Erwartung auf das, was sie finden möge. Vor Aufregung und Freude kläfft sie hin und wieder unerlaubterweise einfach so, und obwohl ein Rettungshund nur bellen sollte, wenn er eine Person gefunden hat - statt diesen Hund davon abzuhalten, freuen wir uns mit ihr. Hat sie endlich ihr "Opfer" gefunden, beginnt sie ihre Anzeigen in der Regel mit einer kurzen Gesangseinlage, in so hohen Tönen, wie man es von einem Molosser eigentlich nicht erwarten darf. Obwohl sie selbst heute keine Schinkenwürstchen verschmäht, nimmt sie als Belohnung auch gerne die Beißwurst, um sie mit gefährlich anmutendem, tief grollendem Knurren mit dem Helfer "kämpft" um gut gelaunt und mit Riesenportion Übermut davon zu hopsen, wenn sie den Kampf gewonnen hat. Nach nur achtzehn Monaten ist aus Paula schon lange ein einsatzfähiger Rettungshund geworden! Noch bekommt sie keine riesengroßen Suchgebiete und vielleicht werden ihre Suchgebiete auch nie ganz so groß werden wie die der anderen Hunde. Natürlich macht ihr große Hitze zu schaffen, bestimmt mehr als den andern, aber sie arbeitet mit Freude und Spaß, absolut zuverlässig und ist damit ein wertvolles Mitglied unserer Staffel geworden.

Stolz auf Paula

Molosser fallen sicherlich nicht unter die Bezeichnung "idealer Rettungshund" , schon alleine deshalb, weil sie den körperlichen Anforderungen, die an einen Rettungshund gestellt werden müssen, einfach nicht gerecht werden können. Einige selbsternannte "Fachleute" behaupten mitunter, daß der Mastino sich gar nicht als Rettungshund eignet. Daß Paulas Ausbildung so erfolgreich verläuft, ist auf die enorme Geduld und Erfahrung der Ausbilder, die Mitarbeit und das Einfühlungsvermögen aller Staffelmitglieder und nicht zuletzt auf die große Zuneigung für "unsere" Paula zurückzuführen. Meines Wissens ist Paula der einzige Mastino, der erfolgreich ausgebildet ist, und so oder so, wir sind stolz auf sie und uns.

Es ist gar nicht mehr wichtig wo oder wann sie geboren wurde, wer sie ausgesetzt hat und warum. Wichtig ist, Paula geht es gut und sie gehört bestimmt zu den glücklichsten Mastinos dieser Welt.

Die Rettungshundestaffel Hessen-Mitte besteht seit 1989 und ist seit dieser Zeit der Johanniter-Unfall-Hilfe in Gießen angeschlossen. Staffelführer ist Stefan Stroh. Die Staffel zählt zur Zeit 17 Hundeführer mit 19 Hunden und zwei Helfer ohne Hund. Von den Hunden sind 9 Hunde einsatzfähig. Die Einsatzerfahrung variiert von ein bis weit über 50 Einsätze pro Einsatzhund. Die anderen 10 Hunde befinden sich in verschiedenen Stadien der Ausbildung. An Rassen sind vertreten: drei Deutsche Schäferhunde, zwei Kurzhaar Collies, ein Boxer, ein Labrador, ein Dalmatiner, ein Mastino, ein Westerwälder Fuchshund und neun Mischlinge. Die Autorin ist eine von drei Ausbildern der Gießener Staffel und führt seit fünf Jahren selbst einen Rettungshund.