Ein amüsanter und informativer Beitrag von S. Hilbig zum Thema "Übernahme eines Tierheimhundes":
Was erwartet mich, wenn ich einen Hund aus dem Tierheim hole? Was erwartet ein Hund, wenn er nach einem Tierheimaufenthalt wieder ein Zuhause gefunden hat? Ich habe damals einiges erwartet, ich dachte der Knabe ist nicht gewöhnt Blase und Darm zu beherrschen, also bin ich jede Nacht aufgestanden um noch mal Gassi zu gehen, zum Entsetzen meines vierbeinigen Opfers.....Ich hatte erwartet, das man ihn nicht allein lassen kann, weil er dann die Gelegenheit ergreift, um die Wohnung auseinander zunehmen oder ein mächtiges Wolfsrudelzusammentrommelgeheul anzustimmen. Also bin ich verhungert..... Nee, ich hab's einfach riskiert, mich von meinem Sofa und Sessel, Kissen und Schuhen verabschiedet und bin Einkaufen gegangen. Überraschenderweise war die Wohnung heil. Auch Tretminen gab es keine. Das Bein wurde einmal lässig männlich am Schuhschrank gehoben, ich denke das war das Zeichen, daß er hier eingezogen ist.... Nicht erwartet hatte ich einen Bullterrier, der weder Sitz, Platz noch Fuß konnte aber dafür Pfötchen geben. Es hat etliche Monate gedauert, bis er die Gnade hatte, sich an diese Dinge zu erinnern. Der Hund war 2 Jahre im Tierheim, er hatte ein männliches Herrchen, nahm Frauen überhaupt nicht ernst, höchstens als Napffüller. Also, ein echter Chauvi!
Ich kenne eine wunderschöne Staffordhündin mit Supererziehung und einem Topwesen, die wurde in einen Haushalt vermittelt mit Katze. Diese Katze lauerte 1 Jahr lang an allen Ecken und Enden darauf, dem Hund ins Gesicht zu springen. Wir waren der Meinung, das kann nicht gutgehen. Jetzt liegen die 2 zusammen im Körbchen.
Ein Bullterrierrüde im zarten Alter von 1,5 Jahren, der die größte Zeit davon im Zwinger oder auf einem Hinterhof gehalten wurde, hat sich zum Dank bei seiner Retterin quer durch die Wohnung, die Kleidung und die Bettwäsche gefressen. Nach Monaten kapierte er, das er Zuhause ist, das er ruhig auch mal allein sein kann und wandelte sich zum zweitbesten Hund der Welt. Meiner war natürlich der beste.
Eine Bullihündin, die nur Zwinger gekannt hat, lernt Wohnung und die Welt kennen. Ein echtes Aha-Erlebnis! Da blieb draußen keine Zeit zum Geschäfterledigen.... das wurde in der Wohnung gemacht. Es gab ein frenetisches Fest als sie zum ersten Mal im vollen Galopp und wahrscheinlich aus versehen ein Ei auf eine Wiese legte! Was ich damit eigentlich sagen will: Es kann passieren das der supertolle Wunderhund, den man nach eventuell langem Tierheimaufenthalt in sein Heim gerettet hat, einige mehr oder weniger große Macken hat. Wer hat die nicht???? Wenn man sich dafür entscheidet mit einem Lebewesen das Heim zu teilen, sollte man auch mit einigen unangenehmen Begleiterscheinungen rechnen.
Ein Tier aus dem Heim ist eine echte Herausforderung! Es ist eine Aufgabe, der man sich stellen muß. Man sollte sich sehr gut überlegen, ob man sich und dem Tier das zumuten will. Probleme kann man in 99% der Fälle lösen. Mit Geduld und vielleicht Hilfe von anderen bekommt man einiges hin! Nur die Zeit sollte man sich und vor allem dem Tier gönnen. Welpen vom Züchter sind auch nicht stubenrein, sie knabbern mit ihren spitzen Zähnchen schneller eine Schuh kaputt als man nein schreien kann, sie können auch nicht gleich das perfekte Hundeeinmaleins. Ohne jemals eine schlechte Erfahrung gehabt zu haben, können sie futterneidisch, grantig und stur sein. Da muss man durch. Wir haben die Wahl. Tierheimhunde sind schon einmal verstoßen worden, das darf man ihnen nicht wieder antun. Ein Hund mit Macken ersetzt den Abenteuerurlaub. Sie brauchen plötzlich keinen supergroßen Breitwandfernseher mehr. Ihr Therapeut wird arbeitslos, weil sie plötzlich keine Zeit mehr haben über diverse Ängste nachzudenken, oder die Ängste sind plötzlich ins Nirvana verschwunden. Sie werden plötzlich mit Leuten reden, die sie nie beachtet haben. Sie werden lernen zu argumentieren, diskutieren. Sie lernen Geduld und Konsequenz. Irgendwann merken sie, daß Verantwortung ein ganz warmes Gefühl in der Magengrube auslösen kann. Das alles nur weil sie sich einen Hund aus dem Tierheim geholt haben, der mit Kommisar Rex soviel Ähnlichkeit hat, wie ich mit Claudia Schiffer. Und nicht für eine Sekunde kommen sie auf die Idee ihren neuen Freund wieder dahin zurück zu bringen wo sie ihn herhaben!
Gießen, November 2000