Eine verhängnisvolle Nacht - oder Warum Myrtana keine Helden hat

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Diese Story spielt gegen Ende von "Gothic 2". Sie steht
zeitlich genau zwischen dem Abschlussfilm in Teil 2 und dem Intro in Teil 3.


Prolog:

Die Kämpfer und der Namenlose haben den Schwarzen Drachen auf seiner Felseninsel besiegt und damit den Hauptsitz der dunklen Magie zerstört, die die Orks im Krieg anscheinend leitete.
Der König von Myrtana hat eine große Sorge weniger und mit einem Schiff voller Schätze treten die Verteidiger des Landes den Heimweg an, um den Regenten weiterhin zu unterstützen.

Der Tag neigt sich dem Ende entgegen.
Die Männer gehen unter Deck und legen sich schlafen.

Diese Nacht werden sie nicht so bald vergessen.


 
„Aufwachen, Leute! Schnell!“

Der Mann auf den schwarzen Felsen starrte aufs Meer.
Seine Augen suchten den Horizont ab.
Er blickte an sich herunter und tastete in den Taschen seiner Lederrüstung nach etwas Brauchbarem.

„Kommt endlich hoch, ihr Penner – das Schiff ist weg!“

Vier Männer lagen hinter ihm auf den bloßen Steinen und kamen allmählich zu sich.

Der Mann, neben dem eine schwere Doppelaxt in der Sonne glänzte, gähnte ausgiebig. Er dehnte seine Rückenmuskeln und kratzte sich den dunklen Bart.

„Was schreist du denn so?“
„Gorn, das Schiff ist weg!“
„Red' keinen Blödsinn, wir haben drin geschlafen und ...“

Mit einem Satz sprang der große Mann auf die Füße.
Er blickte sich hektisch um und rang offensichtlich um Fassung.

„Aber, aber ... das ist doch nicht möglich!“

Die anderen drei Männer, die bis eben noch auf den Felsen gelegen hatten, taumelten langsam in die Senkrechte und rieben sich die Augen.

„Was ist hier los?“, fragte der junge Magier in der roten Robe.

„Wenn ich das wüsste, Milten.“, antwortete der Mann in Leder.
„Ich bin als Erster aufgewacht und – das Schiff war verschwunden. Irgendwer hat es uns unter'm Arsch weggeklaut.“

„Wieso haben wir nichts davon bemerkt?“ Der Mann, bekleidet mit einem Novizenrock der Templer, war verwirrt.

Der Magier dachte nach: „Ich glaube, wir fühlen alle das Gleiche. Als ob man uns Watte ins Hirn gestopft hätte.“ Die Männer nickten.

„Ein Schlafzauber.“, erklärte Milten. „Einer der ganz mächtigen. Nur so einer hat genügend Kraft, uns alle gleichzeitig über einen so langen Zeitraum in Trance zu versetzen.“

„Aber wer ... wieso überhaupt?“ Gorn rieb sich den knurrenden Magen.

„Wenn man uns hätte töten wollen, wären wir nicht hier.“, fuhr der Magier fort. „Es muss einen Grund dafür geben.“

„Scheißegal, was es für einen Grund gibt. Wenn ich nicht bald was zwischen die Zähne kriege, bin ich sowieso tot.“ Der große Mann sah sich missmutig auf den kargen Steinen um.

„Du denkst immer nur ans Fressen!“, kam es von der Seite.

Gorn baute sich vor dem Mann in Leder auf und maulte: „Wegen dir sitze ich überhaupt nur auf diesem Drecksfelsen! Ich hab' dafür gesorgt, dass dir der Drache nicht die Eier frittiert und zum Dank muss ich mich von dir blöd anreden lassen!“

„Hört auf! Hört auf!“ Der Templer trat energisch zwischen die gereizten Streithähne. „Das bringt uns nicht weiter.“

„Ist eigentlich noch jemand hier, außer uns?“, fragte der Mann mit dem schwarzen Schnauzbart, der bisher geschwiegen hatte.

Um das herauszufinden verteilten sie sich, kletterten ein wenig die trostlose Küste hinauf und stellten fest, dass zumindest in der näheren Umgebung keine Menschenseele zu sehen war.

Sie sammelten sich wieder am Strand und der Mann in Leder fragte: „Nun? Was denkt ihr?“ Er wandte sich an den Mann mit dem Schnauzer: „Diego, du hast noch nicht viel gesagt.“

„Ich kann es mir nicht erklären. Es entbehrt jeder Logik.“

„Gorn?“

„Wenn ich drüber nachdenke, frittierte Eier sind gar nicht so übel.“

„GORN!“

„Ja, bei Innos, ich weiß doch auch nicht, was los ist!“

Der Blick des Magiers fiel auf den Templer. Er ging auf ihn zu und fasste ihn an die Schläfe: „Du hast da was Merkwürdiges.“ Er zog eine dünne, helle Schicht vom Gesicht des verduzten Novizen, die aussah, wie ein Stück zweite Haut.

„Igitt, was ist DAS denn?“ Gorn rümpfte die Nase.

Milten befühlte das Material vorsichtig. Er runzelte die Stirn und ging dann zu jedem Einzelnen hin, um die Gesichter der Männer nach ähnlichen Besonderheiten abzusuchen.

Diego wurde ungeduldig: „Was ist das für'n Zeug, Magier?“

Milten holte tief Luft, gab ihm das Material in die Hand und sagte: „Wachs.“

„Wachs?“

„Kerzenwachs.“

Man hätte ihn nicht verwirrter ansehen können, wenn er behauptet hätte, es wäre Snapperpansen.

„Hast du auf'm Leuchter gepennt, Lester?“, grinste Gorn. „Stehst du auch auf Frittiertes?“ Er wollte gerade in lautes Gelächter ausbrechen, da fiel ihm Milten ins Wort: „Wir ALLE haben Reste von Wachs im Gesicht.“

Sofort rieben sich die Männer prüfend über ihre Gesichter und erschraken. Jeder von ihnen fand auf seinen Fingern winzige Reste von Kerzenwachs. Kaum sichtbar, aber sie fühlten die schmierige Substanz beim Aneinanderreiben der Fingerspitzen.

„Was für eine Schweinerei geht hier vor sich?“, rief Diego wütend.

„Wozu soll das gut sein?“, grübelte der Mann in Leder.

Dem jungen Magier kam ein furchtbarer Verdacht und er verzog das Gesicht: „Man hat uns kopiert.“

Verständnisloses Schweigen.

„Kopiert?“, fragte Diego heiser und hob die Augenbrauen.

„Ja, wie beim Schlüsselabdruck.“, erklärte Milten. „Sie haben uns betäubt und während wir geschlafen haben, hat man Abdrücke von unseren Gesichtern gemacht.“

Lester, der junge Novize war verstört: „Aber wer kann denn bloß eine Kopie von uns gebrauchen? Und wofür?“

Dem Mann in Leder dämmerte es langsam.
„Man wollte uns loswerden.“
Er drehte sich zum Meer, die frische Brise kühlte seinen noch leicht betäubten Kopf: „Wir haben die Kohlen aus dem Feuer geholt, jetzt sind wir überflüssig.“

Seine Freunde verstanden noch nicht.

„Hört zu,“ sprach er weiter, „wir hatten Gold auf dem Schiff. Massenweise Gold. So viel Gold, dass wir jeden Söldner des Landes auf unserer Seite gehabt hätten. Der Laderaum war vollgestopft mit den besten Waffen, die man sich nur denken kann und unsere kleine Truppe hätte es mit jeder Armee aufgenommen. Allein vom Schiff aus, hätten wir jede Küste von Myrtana unter unsere Kontrolle gekriegt!“

Gorn begriff und knurrte: „Sie hatten Angst vor uns!“

„Wir wurden zu mächtig.“ nickte Diego. „Könige hassen Konkurrenz.“

Milten machte einen Erklärungsversuch: „Die anderen müssen hier noch irgendwo sein. Wahrscheinlich hat man mit Lares und Lee das Gleiche gemacht wie mit uns. Der König hatte noch ein paar korrupte Magier in der Hinterhand und mit Sicherheit war einer dieser Verräter mit auf dem Schiff, um den Plan in die Tat umzusetzen. Unser guter Ruf im Land und unsere Bekanntheit wollte er für sich ausnutzen. Wahrscheinlich laufen in Myrtana jetzt unsere Doppelgänger herum und agieren als königstreue Marionetten.“

„Wenn ich den Scheißkerl erwische, wird er sich wünschen, seine Mutter wäre Jungfrau gelieben!“ Gorn griff nach seiner Axt. „Los Jungs, lasst uns die anderen suchen.“

Die Männer brachen auf.

„Milten, sag' mal“, der Mann in der Lederrüstung zog den Magier beiseite, „glaubst du nicht, dass es den Leuten da draußen auffällt, dass es nicht WIR sind, mit denen sie reden? Ich hatte Freunde und Wegbegleiter, denen mein seltsames Verhalten sicherlich zu denken gibt.“

„Ach, weißt du,“, lächelte Milton, „wir Magier haben einen Spezialausdruck für eine geduldige Einstellung gegenüber unvermeidbaren Merkwürdigkeiten.“

„Und der wäre?“

„Fehlertoleranz.“

„Ist das nun ein Vorteil oder ein Nachteil?“

„Wie man's nimmt.“, lachte der Magier. „Auf jeden Fall ist es bequem.“

Gorn war mittlerweile schon hinter dem Küstenfelsen auf einen kleinen Hügel geklettert und verschaffte sich bessere Übersicht.

Auf der anderen Seite der Insel erkannte er einige Gestalten, die sich bewegten. Er riss die Arme nach oben und gab Zeichen:
„He, hier sind wir! Hier!“

Gorn lief den Hügel hinunter auf Diego und die anderen Männer zu und rief freudestrahlend: „Da hinten sind sie. Ich hab' sie gefunden!“

Diego dachte schon weiter: „Wie kommen wir eigentlich von dieser verdammten Insel runter, wenn wir alle wieder zusammen sind?“

„Kommt Zeit, kommt Rat.“, schmunzelte Milten, der sich in Gedanken auf die Schulter klopfte, weil er alle Vorlesungen seines Mentors zum Thema Materienumwandlung besucht hatte.
„Fels bleibt nicht Fels, Gebein nicht Gebein ...“

„Wie?“ Lester bemühte sich schnaufend mit den Männern Schritt zu halten. „Heißt das, wir haben eine Chance?“

„Sieht so aus.“ Diego wirkte zuversichtlich. „Ich denke, sie wollen Zeit schinden. Wir sind noch am Leben, also werden wir wohl noch gebraucht. Wir sollten versuchen, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen.“

„Na dann, beeilt euch ein bisschen.“, drängte Gorn. „Vielleicht haben die anderen ja was zu essen dabei. Eine unglaubliche Sauerei so was, uns einfach auf einer Insel auszusetzen, wo es nix zu Fressen gibt! Die reinsten Aasgeier sind das! Raubfische! Piranhas!“

Die kleine Gruppe verschworener Freunde machte sich auf, um das vielleicht größte Abenteuer zu bestehen, das man sich vorstellen kann: Die Rückeroberung der eigenen Identität!

ECHTE Helden braucht das Land!

Lassen wir uns überraschen.



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