Die heilige Cäcilia
die Patronin der Musik
Nach der im 5. Jh. entstandenen Passio sanctae Caeciliae im Martyriologium Hieronymianum entstammte die hl. Cäcilia einer vornehmen römischen Familie. Der Legende nach hatte sie ewige Jungfräulichkeit gelobt. Ihre Eltern bestimmten ihr jedoch einen jungen Mann namens Valerianus zum Gatten. Als gehorsame Tochter willigte sie in die Ehe ein, gestand aber ihrem Bräutigam, daß sie Christin sei, und berichtete ihm von ihrem Gelöbnis. Sie konnte ihn und seinen Bruder Tiburtius für das Christentum gewinnen. Die Gatten gelobten eheliche Enthaltsamkeit, wofür sie - so die Legende - von einem Engel Kränze aus Rosen und Lilien des Paradieses erhalten haben sollen. Im Zuge der Christenverfolgungen wurden Valerius und Tiburtius um das Jahr 200 enthauptet - sie hatten das Opfer vor dem Jupitertempel verweigert. Die Leichname wurden in der Praetextat-Katakombe beigesetzt. Auch diese beiden werden seit der Mitte des 5. Jahrhunderts als Heilige verehrt (Festtag: 14. April). Da Cäcilia das Opfer ebenfalls verweigerte, wurde auch sie zum Tode verurteilt. Wegen ihrer Familie sollte dies jedoch nicht in der Öffentlichkeit geschehen, sondern sie sollte in den heißen Dämpfen einer Therme erstickt werden. (Anm.: Wohl eher in den Feuerungsabgasen) Da dies mißlang, versuchte man sie zu enthaupten. Der Scharfrichter, dem nach römischem Recht nur drei Hiebe gestattet waren, schaffte es allerdings nicht, ihr mit diesen drei Schwertstreichen das Haupt vom Rumpf zu trennen. Cäcilia lebte noch drei Tage, bis sie ihren Verletzungen erlag. Zuvor hatte sie noch ihr Vermögen der Kirche übergeben. Sie wurde in der Calixtus-Katakombe beigesetzt. Soweit die Passio sanctae Caeciliae.
Ihr Kult setzt etwa in der Mitte des 5. Jahrhunderts ein. Zu dieser Zeit wurde auch die Titelkirche St. Cecilia in Trastevere errichtet und ihre Gebeine dorthin überführt, was ihrer Verehrung großen Aufschwung gab. Diese Kirche soll über ihrem ehemaligen Wohnhaus errichtet worden sein, und in unmittelbarer Nachbarschaft werden heute noch die Reste des Caldariums der antiken Therme gezeigt, wo sie erstickt werden sollte. Auch die Gebeine von Valerianus und Tiburtius wurden in St. Cecilia endgültig bestattet. Wahrscheinlich gibt es zur Entstehung dieses Cäcilia-Kultes auch eine synkretistische Beziehung zum Kult einer ehemaligen römischen Gottheit, einer Bona Dea Restituta, die bei Blindheit (lat. caecitas!) angerufen wurde. Das Fest der hl. Cäcilia wurde im 8. Jh. in den Messkanon aufgenommen und auf den 22. November, ihr mutmaßliches Todesdatum, festgelegt. Als die Kirche in Trastevere im Jahr 1599 restauriert wurde, öffnete man auch die vermauerte Gruft Cäcilias. Angeblich soll ihr Leichnam zu diesem Zeitpunkt völlig unversehrt gewesen sein (ein Befund, der bei unter Luftabschluß eingemauerten Leichen an und für sich nicht ungewöhnlich ist, der aber aufgrund des Umstandes, daß die Tote im 5. Jh. aber schon einmal umgebettet worden sein soll, immerhin bemerkenswert ist), auf der Seite liegend, mit einer tiefen Halswunde. Die Plastik der Heiligen unter dem Hochaltar, das Hauptwerk des Bildhauers Stefano Maderno (auch Maderna, 1576-1636) soll der Überlieferung nach von diesem Fund inspiriert sein (Abb. s. unten)
Dieser Fund löste im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts eine Verstärkung der Cäcilienverehrung aus. Dies ist auch in der bildenden Kunst nachzuvollziehen: Ein Großteil der bekannten Cäciliendarstellungen stammt aus dieser Zeit.
In der Passio sanctae Caeciliae findet sich die Stelle, welche die Beziehung der Heiligen zur Musik darlegt, zur Verdeutlichung des späteren Missverständnisses im lateinischen Original:
Venit dies in quo thalamus collocatus est et cantantibus organis illa in corde suo soli Domino dacantabat dicens: Fiat cor meum et corpus meum immaculatum, ut non confundat.
Der Text besagt, daß zu den Hochzeitsfeierlichkeiten Musik erklungen hat und dazu Instrumente gespielt wurden (cantantibus organis). Organa (von griech. organon = Werkzeug) waren in der Antike im Bezug auf Musik irgendwelche beliebigen Instrumente, die Einschränkung dieses Begriffes auf die Orgel als solche entstand erst im Mittelalter. Cäcilia achtete aber nicht auf die Musik, ganz im Gegenteil: Sie "sang in ihrem Herzen allein dem Herren (illa in corde suo soli Domino dacantabat dicens), er möge ihr Herz und ihren Leib unbefleckt erhalten (fiat cor meum et corpus meum immaculatum), damit sie nicht zuschanden werde (ut non confundat)". Ihre Einstellung zur Musik ist also ablehnend bzw. missachtend - zumindest während der Hochzeit: Sie singt (betet) nicht unter den Klängen der Orgel zu Gott, wie spätere Jahrhunderte diese Stelle interpretierten, sondern sie betet TROTZ der Musik und läßt sich von ihr nicht ablenken. Sie folgt damit exakt den Anweisungen die der Apostel Paulus in seinem Brief an die Epheser erteilte: "Singt und spielt dem Herren in eurem Herzen" (Eph.5,19). Es ist anzunehmen, daß der spätantike Autor der vita diese fast wörtliche Übereinstimmung absichlich verwendet hat, um die Unbeirrbarkeit der Heiligen herauszustreichen. Ihre tatsächliche Haltung zur Musik (pro, contra oder indifferent) ist allerdings mangels direkter Quellen nirgends belegt. Es existiert nur die postume Beschreibung der passio drei Jahrhunderte nach ihrem Tod.
Die Einstellung, nicht mit der Stimme, sondern mit dem Herzen zu singen = beten (non voce, sed corde), findet sich auch bei den Kirchenvätern und in der neuplatonischen Philosophie. In zeitweiliger Überspitzung führte dies bei einigen Autoren bis hin zur völligen Ablehnung sinnlich wahrnehmbarer Musik, vor allem in der Kirche. Auch Cäcilia singt nach den Worten des Autors der Legende nicht real, sondern im Geiste. So wurde die Geschiche der hl. Cäcilia auch bis in das späte Mittelalter verstanden.
Bildliche Darstellungen der Heiligen zeigen sie bis in das 15. Jh. hinein mit den allgemeinen Attributen der Märtyrer: Krone, Palmzweig oder Lilie (s. Abb. oben). Auf vereinzelten Darstellungen ist sie auch mit dem Schwert als Attribut ihrer Hinrichtungsart oder mit dem Blumenkranz der Legende abgebildet. Erst ab dem 15. Jh. wird sie mit ihrem charakteristischen Attribut abgebildet: Der Orgel. Interessanterweise ist diese zunächst das Portativ, ein Instrument das so gut wie ausschließlich außerhalb der Kirche gespielt wurde. Anfänglich hielt sie diese Tragorgel nur passiv in der Hand, oder sie stand zu ihren Füßen oder wurde von einem Engel gehalten und/oder gespielt. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts entstanden jedoch Abbildungen, auf denen die Heilige dieses Portativ selbst spielt. Dabei handelt es sich um eine offensichtliche Fehlinterpretation der ursprünglichen passio. Wie war es zu diesem Missverständnis gekommen?
Als im 8. Jh. das Fest der Heiligen in den Messkanon aufgenommen wurde, gingen Teile der passio in den Offizientext des 22. November ein, allerdings in leicht veränderter Form. Im Responsorium der Matutin lautet er nun:
Cantantibus organis Caecilia virgo in corde suo soli Domine descantabat dicens: Fiat Domine, cor meum et corpus meum immaculatum, ut non confundat.
Die entscheidende, abweichende Stelle ist in Fettdruck hevorgehoben. Das verkürzte Zitat läßt sich übersetzen mit "unter dem Klang der Instrumente sang die Jungfrau Cäcilia in ihrem Herzen...", aber auch fehlerhaft mit "die Orgel spielend sang die Jungfrau Cäcilia in ihrem Herzen...". Außerdem fehlten in den jeweils 1. Antiphonen der Laudes und der Vesper die Worte in corde suo, wie auch in einigen späteren Fassungen der passio. Der Text lautete dann frei übersetzt "Die Orgel spielend sang Cäcilia allein Gott". In der Wahrnehmung der Zeitgenossen wandelte sich daher die Einstellung Cäcilias zur Musik im Laufe des 15. Jahrhunders von einer bestenfalls ignorierenden Haltung hin zu einer aktiven Ausführung zum Lobe Gottes. Man ging sogar soweit anzunehmen, daß Cäcilia bei ihrer eigenen Hochzeit selbst die Orgel gespielt hätte, ja, dieses Instrument sogar erfunden haben soll. Es läßt sich nun darüber spekulieren, warum dieses Missverständnis aufgrund des Offiziumstextes erst so spät und gerade im 15. Jh. eintrat. Eine wichtige Rolle hat dabei sicherlich gespielt, daß ganz allgemein die Heiligenverehrung im späten Mittelalter einen gewaligen Aufschwung erfuhr. Alle Berufe, Stände, Bruderschaften, Zünfte, Gilden und sonstigen Organisationen suchten sich in dieser Zeit ihren Schutzpatron, einen, dessen vita oder dessen Martyrium einen wie auch immer gearteten Bezug zur jeweiligen Vereinigungen aufwies. Da lag es nahe, daß sich die (Kirchen-)Musiker, aber auch die Spielleute und Instrumentenbauer (vor allem die Orgelbauer) unter Berufung auf die Worte "Cantantibus organis" die heilige Cäcilia als Schutzheilige erwählten, und ihr als Attribut die Orgel begegeben wurde, auch wenn dies im krassen Gegensatz zur ursprünglichen Legende stand. Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß das Portativ, das sich auf fast allen Abbildungen dieser Zeit findet, nicht in der Kirchenmusik verwendet wurde, sondern meist in der höfischen Tanzmusik. Es stellt sich die Frage, ob dieses Attribut eine Reminiszenz an ihre vornehme Abstammung und an die Hochzeit darstellt, oder ob es sich hier ein Attribut derjenigen Musikergruppe handelt, die sich die heilige Cäcilia anscheinend als erste zur Schutzpatronin erwählt haben: Die Spielleute.
Im 16. Jh. bildeten sich zahlreiche Bruderschaften unter ihrem Namen. Diese Bruderschaften veranstalteten ab der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts auch Kompositionswettbewerbe, wobei neue Kompositionen zur Ehre Gottes und Cäcilias einzusenden waren. Diese Kompositionen wurden zur Feier des Cäcilientages aufgeführt, der musikalisch meist sehr aufwendig gestaltet war. Orlando di Lasso z.B. gewann zweimal den Wettbewerb der Confrèrie de Ste. Cécile von Evreux (1575 mit der Motette Domine Jesu Christe qui cognoscis und 1583 mit der Motette Cantibus organis auf den Offizientext). 1585 gründete Papst Sixtus V. die Congegazione dei musici di Roma sotto l'invocazione della Beata Virgine, di Gregorio e di Sta. Cecilia, die im Gegensatz zu vielen anderen ähnlichen Vereinigungen kirchlichen und weltlichen Musikern offenstand, Klerikern und Laien, sogar Frauen waren als Mitglieder zugelassen. Ziel dieser Organisation war die Pflege und Lehre einer Musik im Sinne des Konzils von Trient, sowie karitative und soziale Aufgaben. Auch Palestrina war Mitglied dieser Bruderschaft, aus der die heutige Accademia nazionale di Sta Cecilia hervorging. In Zusammenarbeit mit einigen seiner Schüler schrieb er zur Feier des Cäcilientages die 12-stimmige Missa Cantibus organis.
Im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts wandelte sich das Bild der Heiligen in der Kunst. War sie vorher nur mit dem Portativ abgebildet worden, so spielte sie nunmehr auch größere Instrumente, zunächst ein Orgelpositiv oder ein Regal, dann die große Kirchenorgel, und später auch andere Instrumente, wie Cembalo, Laute, Gambe, Cello oder Harfe. Auch häufen sich Darstellungen, die Cäcilia als Leiterin eines Engelchores oder des "himmlischen Orchesters" abbilden. Die Darstellungen sind bezüglich der Musik so eindeutig bejahend, daß zunehmend eine ikonographische Gleichsetzung mit der allegorischen Figur der Musica zu beobachten ist. Dieses Bild war so weit verbreitet, daß spätere Betrachter diese Interpretation auch auf ältere Darstellungen der Musica rückübertrugen. So wird z.B. die allegorische Musica auf mittelalterlichen Handschriften auch heute noch gerne fälschlich als Cäcilia angesehen.
Große Verbreitung fand die Cäcilienverehrung im 18. Jh. in England. Die Musical Society gab entsprechende Oden bei renomierten Dichtern in Auftrag und ließ sie vertonen. Von allen großen Komponisten der Epoche sind entsprechende Werke erhalten: Von John Blow, Hernry Purcell, dessen Ode to St. Cecilia von 1692 zu den bekanntesten seiner Kompositionen zählt, Christopher Pepusch, Jeremiah Clarke und Georg Friedrich Händel, der 1739 eine Ode for St. Cecilia's Day vertonte und 1736 das Oratorium Alexander's Feast or the Power of Music schrieb, in dem Cäcilia als Vertreterin der neuen, christlichen Musik auftritt.
Ähnliche musikalische Verehrung Cäcilias gab es auch in Süddeutschland und Österreich. 1725 wurde in Wien die Caecilien-Congregation gegründet, der u.a. Fux, Caldara, Albrechtsberger und Josef Haydn angehörten. Diese Vereinigung beging den 22. November jeweils mit einem feierlichen Hochamt. Haydns Cäcilienmesse von 1766 ist wohl zu einem derartigen Anlass entstanden. Auch im 19. Jh. wurden zahlreiche Werke zu Ehren der hl. Cäcilia geschrieben: Gounods Cäcilenmesse (1855) und Hymne à Sainte-Cécile (1865) sowie Liszts Die hl. Caecilia (1874) und Antiphon Cantibus organis (1879) seien hier nur stellvetretend genannt. Sogar auf protestantischer Seite wurde Cäcilia zur Patronin: 1822 gründete Louis Spohr in Kassel einen Cäcilienverein zur Pflege der Chormusik und schrieb für diesen Verein zwei Jahre später den Hymnus an die hl. Caecilia op. 97. Auch an anderen Orten wurden derartige (protestantische) Cäcilienvereine gegründet (z.B. in Frankfurt 1818).
Auch heute noch begehen viele Kirchenchöre den Cäcilientag mit einer musikalisch gestalteten Messe.