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St.Jean Pied de Port - Pamplona

Tagesetappe Durchschnitt Kumulierte Strecke
80,7 km 14,0 std./km 1.988 km

Heute bin ich sehr zeitig aufgewacht, es war noch finster. Ich bin noch etwas liegen geblieben und habe über die heutige Etappe nachgedacht. Endlich um 8.00 Uhr aufgestanden und etwa eine Stunde später losgefahren. Der junge Mann mit Rucksack ist schon vor 10 Minuten weg. Ich werde ihn nicht mehr wiedersehen. Habe heute morgen meine Radschuhe in einem Abfalleimer versenkt. Sie haben mich lange genug gequält, ab jetzt fahre ich ohne Klickpedale, nur mit den leichten Sportschuhen. Ach, ist das eine Wohltat! Natürlich ist heute kein Nebel! Schon um neun ist es sehr warm, aber zu meinem Glück geht der Pass etwas gemächlich an, mit wenig Steigung in ein langes, schmales Tal hinein. Im Schatten der Bergwände ist es angenehm kühl, ich habe trotzdem vorgesorgt und 1 ½ Liter Limonade dabei. Wenn ich Glück habe, werde ich auch noch die eine oder andere Quelle finden. Nun beginnt die Steigung, ich trete im kleinsten Gang vor mich hin, werde auf einmal von einer ganzen Gruppe Radler überholt, alle auf Rennrädern ohne Gepäck. Es sind Engländer, mit einem kurzen Gruß ziehen sie vorbei. Na, die sehe ich nicht mehr wieder! Aber, welche Überraschung! Zwei Serpentinen weiter sitzen sie am Straßenrand und machen eine kleine PausePause am Pass. Gerne setze ich mich dazu und mache auch eine Pause. Die Engländer erzählen mir, sie sind per Schiff nach St. Malo gefahren, von dort aus mit den Rädern quer durch Frankreich, jetzt wollen sie noch die Pyrenäen durchqueren und über Bilbao zurück fahren. Ihr Gepäck fährt immer einer der Gruppe per Auto vorneweg, der auch das Hotel rechtzeitig aufsucht und Quartier macht. Ich finde das eine tolle Sache, der größte Teil der Gruppe kann vollkommen unbelastet drauflos radeln, und trotzdem ist für die Bequemlichkeit gesorgt. Einer gehört nicht zu der Gruppe, er hat sich nur zum Fahren heute angeschlossen, fährt mit mir noch ein Stück des Wegs. Er kommt aus Dänemark, hat diese Berge schon dreimal durchquert und ist jetzt schon wieder hier. Nach etwa zwei Stunden kommen wir oben am Pass an, die Gruppe Engländer hat uns schon lange passiert, jetzt verabschiedet sich auch mein Begleiter: „Vielleicht sehen wir uns ja einmal wieder!“ „Natürlich, und gute Fahrt!“ Weg ist er, pfeift mit Höchstgeschwindigkeit der Gruppe hinterher, die haben schließlich sein Gepäck dabei! Ich stoße einen lauten Jauchzer aus, befremdete Blicke treffen mich von allen Seiten, ich bin jetzt der einzige Radler. Alle anderen sind mit dem Auto auf die Passhöhe gefahren. Kein Wunder, dass die so gucken! Woher sollen die denn wissen, wie man sich fühlt, wenn man eine Herausforderung gut bestanden hat! Und ich habe sie bestanden. Ich schlendere auf dem Parkplatz herum, bewundere die Aussicht nach Spanien und zurück nach Frankreich. Heute ist das Wetter glasklar, kein Nebel oder Dunst, der Blick schweift über die Berge und Hügel, die vor mir liegen. Eigentlich geht es ja ab hier wieder bergab. Oder? Ein paar Aufnahmen müssen schon sein, ich schaue mir auch die Kapelle und das Denkmal für RolandDenkmal Roland gründlich an. Hier, an diesem Ende Europas, fand eine Schlacht zwischen der Nachhut des Heeres Karls des Großen und den Vorfahren der heutigen Basken statt. Dabei wurde der Recke Roland und seine Getreuen getötet. Als Letztes blies Roland so laut in sein Horn, das berühmte „Olifant“, dass die Hauptgruppe vor ihm alarmiert wurde und die Schlacht entschied. Die Basken flohen, die Leichen der Erschlagenen wurden im sogenannten Beinhaus von Roncesvalles beigesetzt. Neben der Kapelle ist ein kleiner Hügel, dort haben scheinbar Kinder Stecken und Stäbe in die Erde gesteckt. Ich gehe näher heran. Nein, das waren keine Kinder! Jetzt sehe ich erst, dass hier kleine Kreuze aus Ästen bzw. Latten in der Erde stecken. Da fällt es mir wieder ein: Die Pilger setzen ein Kreuz in die Erde, wenn sie den Pass bezwungen haben! Sie tragen das Kreuz von Zuhause aus bis hierher. Es gibt noch so einige Bräuche, so z.B. dass die Pilger einen Stein mittragen und am „Cruz de Ferro“ ablegen. Oder dass die verschlissenen Kleider und Schuhe am Cabo de Finisterre verbrannt werden. Ich habe diese Bräuche erst nachher gelesen, habe also kein Kreuz und keinen Stein dabei, ein kurzes Gebet muss auch genügen! Meine Rast ist kurz, nach einer guten halben Stunde fahre ich weiter. Schon kurze Zeit später kommt Roncesvalles in Sicht, die erste Station des Jakobweges auf spanischem Boden. Hier ist ein sogenanntes „Refugio“, d.h. eine Unterkunft für Pilger, die wenig oder nichts kostet und nur minimalen Komfort bietet. Ich besichtige noch das Beinhaus, leider abgeschlossen und von außen ist fast nichts zu sehen. Nebenan ist die Kapelle St. Jakob, ebenfalls abgeschlossen, durch den Tür­spalt kann ich schemenhaft einen absolut schlichten Altar mit einem Kreuz erkennen. Nebenan am Hospiz wird gebaut, die Fassade ist verhüllt. Ich schlüpfe unter den Bauplanen durch und gehe durch den Kreuzgang in den angrenzenden riesigen, stillen Raum. Das Grabmahl von Sanchez VII. steht hier vor einem beeindruckenden GlasfensterGlasfenster Grabmahl Sanches VII. Es zeigt die Schlacht von Las Navas de Tolosa, die erste, große Auseinandersetzung der Spanier gegen die Mauren. Mitten im Kampfgetümmel soll der heilige Jakob auf einem weißen Pferd aufgetaucht sein und die Schlacht für das Christliche Abendland entschieden haben. Meine „Lose Blatt-Sammlung“ verrät mir noch einiges zu diesem Ort:

Man feierte in Roncesvalles nicht nur die Erinnerung an den Heldentod Rolands, sondern zeigte hier auch die Ketten, die im Jahr 1212 in der Schlacht von Las Navas de Tolosa (Jaén) erbeutet worden waren. Somit gedachte man in zweifacher Weise des Kampfes gegen die Ungläubigen, den der hl. Jakobus durch sein Eingreifen unterstützt hatte. Die heutige Anlage vermittelt nur einen unzureichenden Eindruck von der einstigen Gestalt des 1132 gegründeten Augustinerstiftes, dessen Pilgerhospiz berühmt war. Die Konventsgebäude stammen aus dem 17.Jh. Das älteste Gebäude in Roncesvalles ist die dem Heiligen Geist geweihte Grabkapelle aus der ersten Hälfte des 12. Jh.. Die ihr benachbarte Jakobuskapelle und die Stiftskirche wurden im frühen 13.Jh. im Stil der französischen Frühgotik errichtet. Französischer Herkunft ist auch die in der Kirche verehrte Marienfigur aus dem 13.Jh., die Reina del Pirineo. Im Süden der Kirche schließt sich der Kreuzgang an, ein schlichter Neubau des 17.Jh. Kapitelsaal 14.Jh, wo sich das Grab König Sanchos VII. el Fuerte (1194-1234), des Siegers von Las Navas de Tolosa, befindet. Museum Kirchenschatz: Evangeliar aus der ersten Hälfte des 13.Jh. Silbergetriebene Reliefs Vorderseite Majestas Domini, Rückseite Kreuzigung

Hier sitze ich und grüble über die Geschichte unseres Kontinentes nach. Man stelle sich vor: Die wilden Sarazenen mit geschwungenen Krummsäbeln waren bereits bis nach Südfrankreich vorgedrungen! Noch vor etwa 500 Jahren war der Süden Spaniens fest in arabischer Hand! Seltsame Gedankenfetzen schießen mir durch den Kopf: Wenn die Römer für ihre riesige Armada von Schiffen nicht die ganze spanische Halbinsel gerodet hätten und fast alle Wälder gefällt hätten, wären die kühnen Wüstensöhne sicherlich nicht in diese für sie unbekannten Gebiete vorgedrungen. Wie viel von unserer Wissenschaft wäre denn dann vorhanden? Die arabischen Gelehrten hatten einige hundert Jahre Zeit, ihr Wissen an die europäischen „Barbaren“ weiterzugeben. Was wäre, wenn das nicht geschehen wäre? Egal, ich muss weiter. Seufzend strecke ich meine müden Beine, stapfe zum Rad und fahre weiter. Links am Weg steht eine wunderschöne PilgersäulePilgersäule bei Roncesvalles, sie sieht fast wie ein zu groß geratenes Grabmal aus. Kurzer Halt, ein Foto, aber jetzt muss ich weiter! Das Sträßchen windet sich durch dichte Wälder, es ist angenehm kühl, einige wenige Dörfer fliegen vorbei, meistens geht es abwärts, nur einige wenige Anstiege bremsen mich. Langsam sinkt die Sonne, jetzt taucht die Silhouette einer Stadt auf – Pamplona. Auf der anderen Seite eines Tals sehe ich eine riesige Kirche, große Häuser, im Hintergrund von modernen mehrstöckigen Betonbauten überragt. Ich brauche eine Unterkunft für die Nacht, hier gibt es keinen Campingplatz. Ich fahre dreimal durch die Stadt, suche nach einem Gasthaus. Wie heißt denn Zimmer auf spanisch? Morgen muss ich unbedingt ein Lexikon kaufen. Hotels sehe ich einige, aber so viel Geld? Es nützt nichts, ich muss ein Zimmer nehmen. Freundlich werde ich aufgenommen, mein Fahrrad darf in der Hoteltiefgarage parken. Essen gibt es erst ab 21.00 Uhr, ich habe einen furchtbaren Hunger! Einige hundert Meter stadteinwärts finde ich eine kleine Bücherei, schnell ist ein Lexikon gekauft, es enthält jede Menge Redewendungen. Jetzt finde ich auch das spanische Wort für Zimmer – habitatión. Und schon geht mir ein Lichtlein auf: Dieses Wort habe ich etliche Male in der Stadt gelesen. So wird Dummheit bestraft. Endlich ist es neun Uhr, bei Pizza-Hut gibt es eine halbe Pizza und eine Cola light – es muss gespart werden!

Pamplona – Los Arcos

Tagesetappe Durchschnitt Kumulierte Strecke
72,2 km 14,4 std./km 2.060 km

 Heute morgen gönne ich mir den puren Luxus: Bis acht Uhr ausschlafen, dann noch eine heiße Dusche, die Handtücher muss ich ja nicht trocknen, Frühstück vom Feinsten, gegenüber Geld umgetauscht, Rechnung bezahlt – ist auch vom Feinsten! Bike satteln und los geht es! Halt, ich brauche doch den Pilgerausweis! Die nette Dame an der Rezeption ist zwar mehrsprachig und hilfsbereit, sie kennt den Pilgerausweis, aber wo es den gibt? Vorschlag: Es gibt natürlich eine Touristeninformation, die werden es wohl wissen. Gesagt, getan, mit dem ganzen Gepäck nochmals in die City, ich finde auch sehr schnell die gewünschte Stelle, aber leider öffnet sie erst um 10 Uhr. Ich vertreibe mir die Zeit. Die Kathedrale ist nicht weit, werde ich die erst einmal besichtigen. Leise schiebe ich mich durch die Schwingtür in die dämmerige Kirche, es findet soeben ein Gottesdienst statt. Ich pirsche mich lautlos nach vorne, rutsche in eine Bank und nehme teil. Eine ältere Dame ist außer mir in der riesigen Kathedrale. Vorne am Altar agieren mindestens acht Personen im liturgischen Gewand. Als ein Geistlicher zur Kanzel schreitet, husche ich schnell zum Ausgang: Ich verstehe leider nichts! Und soviel Zeit, eine komplette Predigt anzuhören, die an mir vorbei plätschert, will ich auch nicht vergeuden. Da kommt mir der Ausspruch eines ehemaligen Arbeitskollegen in den Sinn: Ein Pastor darf über alles predigen, nur nicht über 20 Minuten. Endlich, die Information ist geöffnet. Mit leisen Worten wird mir verdeutlicht, dass der gewünschte Ausweis – der „Credencial del Peregrino“ im bischöflichen Palais, nur eine Straße weiter, zu haben ist. Gegen Gebühr! Natürlich! Aber welche Überraschung – die nette ältere Dame verlangt nur 25 Pesetas. Ich gebe gern das Doppelte als Spende an die Armen. Mit vielen Segenswünschen und dem ersten Stempel im Pilgerpass verlasse ich endlich die Stadt. Eine breite AusfallstraßeBlick Richtung Pamplona führt in Richtung Estella. Rechts neben dem weißen Strich ist reichlich Platz für Radler. Und der Asphalt ist glatt, im Gegensatz zu Frankreich schnurren die Reifen regelrecht. Es geht zügig nach oben, laut meiner Wegbeschreibung muss ich den Passo del Perdon überqueren, eine Bergkette, die mir den Weg nach Westen versperrt. Es ist schon recht heiß, durch die Verzögerung heute morgen komme ich voll in die Mittagshitze. Es nützt nichts, triefend vor Schweiß trample ich die Steigung hoch. Oben sehe ich Windmühlen, eine ganze lange Reihe, ich zähle über 40 Stück. Fast alle drehen sich im Gegenwind, nur einige wenige stehen still. Präziser gesagt sind das keine Windmühlen, sondern Windgeneratoren, die Strom erzeugen. Links geht der Weg ab, noch ein Stück bergauf, dann könnte ich unter den sausenden Flügeln stehen. Aber in der Hitze? Nein, jetzt geht es bergab, da wird es kühler, der Schweiß trocknet auf der Haut. Der nächste größere Ort ist Puente de la Reina, die „Brücke der Königin“. Links, gleich am Ortseingang, ist ein Bauwerk. Meine Eintragung verrät mir, was es ist:

Beginn des »Camino francés«. Am Ortseingang spätromanische Kirche El Crucifijo: Portal Blattornamente mit geschmückten Archivolten. Halbkreisförmige und polygonale Apsis schließen die Schiffe des Langhauses ab. Nordapsis: Lederner Gabelkruzifix (Rheinland? 14.Jh.). Gegenüber ehem. Pilgerhospiz.

Jakobuskirche spätromanisch: Portal Zackenbogen überfängt die Türöffnung, Jakobusstatue im Innenraum
Brücke Ponte Regina 1122 über den Río Arga.

Natürlich ist um die Mittagszeit alles geschlossen, aber zumindest ist der Bruder Pförtner in seiner Klause und gibt den begehrten Stempel. Zwei Radpilger sind kurz vor mir eingetroffen. Ein kurzes „Hola“ und schon fliegen deutsche Worte auf mich zu: Woher kommst du? Was, aus Nürnberg? Und was ist das seltsame dritte Bein an deinem Fahrrad? Sie meinen den Ständer, der mich schon seit zweitausend Kilometer ärgert! Immer, wenn ich das Rad abstelle, kippt das Vorderrad nach links – die Taschen sind zu schwer – damit das Gefährt nicht kippt, muss ich ganz vorsichtig das VorderradBrücke über den Rio Arga nach rechts drehen, bis ein mehr oder weniger labiles Gleichgewicht erreicht ist. Meistens bleibt es stehen, aber oft ist es auch schon umgekippt, bisher zwar ohne größere Schäden. Aber wer weiß? Beim nächsten Mal ist vielleicht die Kamera defekt? Immer öfter suche ich mir Hecken oder Mauern, an denen das Rad angelehnt wird. Zu was brauche ich eigentlich „das dritte Bein“? Meine beiden Gesprächspartner bewundern auch noch meinen Pulsmesser, der scheint ihnen total überflüssig zu sein. Wenn es zu hart wird, merkst du das doch, oder? Endlich komme ich dazu, auch einmal etwas zu fragen. Die Beiden kommen aus Pamplona, einer ist Spanier, der andere halb deutsch, halb britisch und lebt zur Zeit in Holland. Die Zwei sind wesentlich schneller als ich, sie haben kaum Gepäck dabei, trotzdem treffe ich sie im Lauf des Tages noch zweimal. Sie rasten häufiger als ich. Am Ortsausgang finden wir die Brücke über den Rio Arga. Nur Fußgänger und Radler dürfen hier über den Fluss, der brausende Autoverkehr wurde verbannt, einige hundert Meter flussabwärts steht eine neue Betonbrücke. Der ideale Platz zum Fotografieren! Von dort sehen wir die alte Brücke und die Häuser am Flussufer wie eine Bühnenkulisse.

Eunate, die bekannte Kirche einige Kilometer östlich von Puente de la Reina, habe ich erst zwei Jahre später besucht.

Ich fahre im Moment nicht mehr auf der Hauptstraße, der N 120, trotzdem ist sehr viel Verkehr, überwiegend Eunate KapelleLastwagen. Deshalb bin ich sehr froh, als kurz nach dem Ort eine schmälere Straße nach recht abbiegt. Es ist die alte Landstraße, die zwar über einige Hügel führt, aber praktisch ohne Autos ist. Endlich kann ich eine größere Pause im Gras unter einem Baum machen. Schatten brauche ich dringend, es ist so heiß, ich kann direkt sehen, wie meine Haut brauner wird! Aber es ist wie verhext. Entweder sind am Wegesrand kahle Flächen oder dornige Sträucher. Endlich ein einzelner Baum! Ich kraxle eine Böschung hinauf. Dort oben werde ich wohl Gras finden. Von wegen! Alles braun verbrannt, nur kurze Kapelle Außenringdornige Stoppeln. Vorsichtig hole ich mein aufblasbares Kopfkissen aus der Packtasche, wenn ich sehr aufpasse, kann ich mich wenigstens etwas hinsetzen. Die Stacheln sind nicht so lange, dass sie die Hülle durchstoßen, aber am Hinterteil sind sie unangenehm. Eben habe ich mir etwas bequem gemacht, kommen meine beiden Begleiter angeradelt. Ah, ein Rastplatz! Aber nachdem sie die Dornen gesehen haben, fahren sie doch lieber weiter, nach einigen Kilometern soll eine Tankstelle mit Shop kommen, dort wollen sie einkehren. Endlich Ruhe! Nur einige Mücken umkreisen meine schweißnassen Arme und Beine. Sie sehen aus, wie normale Fliegen, aber die Biester stechen! Murrend stehe ich auf, packe meine Siebensachen wieder ein und fahre weiter. Am Nachmittag komme ich nach Estella. Am Ortseingang eine große Kathedrale – geschlossen. Daneben ein ehemaliges Hospiz – geschlossen. Über die Brücke fahre ich in die Stadt, diese ist so steil, dass ich tatsächlich absteigen und schieben muss. Überall sind Baustellen, riesige Kräne tanzen ein stilles Ballett im blauen Dunst. Noch eine Kirche – na, was wohl? Richtig – geschlossen. Wieder zurück auf der Straße treffe ich einen jungen Radler aus Irland, der mir sein Leid klagt: Alles geschlossen, er hat einen furchtbaren Hunger. Ich gebe ihm einen Müsliriegel aus meiner eisernen Reserve und rate ihm, in die Stadt zu fahren, dort sollten eigentlich zumindest einige Bars aufhaben. Mit einem fröhlichen „Thank you so much!“ verschwindet er hinter den Häusern. Am frühen Abend treffe ich in „Los Arcos de Navarra“ ein. Die Pilgerherberge am Ortsausgang ist voll! Nach einigen Minuten Warten kommt der Ire, den ich in Estella getroffen hatte, in den Raum. Wir beide sind die letzten, die ein Bett bekommen. Vorausgesetzt, es kommtRastplatz bei Punta del Reina nicht noch ein Pilger zu Fuß. Sonst müssten wir weiter oder auf dem Boden schlafen. Endlich, um 19.00 Uhr können wir unser Bett beziehen. Ein Raum für 14 Mann, Stockbetten dicht an dicht, aber wenigstens kann man sich ausstrecken. Unsere Räder können wir in einen Schuppen einschließen. Als ich eben weggehen will, um etwas zu essen, kommt noch eine Gruppe von 6 Radlern. Der Schuppen wird geräumt, die Neuen schlafen dort auf dem Boden. Unsere Räder stehen jetzt im Hof unter einem Baum. Besser so, als wenn wir unterm Baum schlafen müssten. In einem Restaurant bzw. einer Bar bekomme ich ein Stück Tortilla, einen Kartoffelauflauf mit Brot. Ich traue mich nicht, ein Essen zuKirche Estella Eingangbereich bestellen. Wenn doch noch ein Pilger kommt? Das Restaurant öffnet um 21 Uhr, aber die Tür zum Refugio wird um 22 Uhr abgesperrt, wer später kommt, muss draußen schlafen. Die Dame an der Rezeption erzählt mir, dass ich am nächsten Morgen spätestens um sieben aus dem Haus sein muss. Aber jetzt kommt eine nette Abwechslung: Eine Dame vom Fremdenverkehrsbüro lädt alle Pilger ein, sich Dias über die Landschaft und den Ort anzusehen. Ich gehe gerne mit, ist mal etwas anderes. Neben mir sitzen etwa ein Dutzend Leute, 2/3 davon aus Deutschland. Sie sind eine größere Gruppe, als Gepäcktransporter haben sie einen zweirädrigen Karren dabei, der abwechselnd gezogen wird. Nur der Älteste der Gruppe, ein über 70-jähriger muss nicht mehr ziehen.

Refugio – Pilgerhospiz in Spanien

Auf spanischem Boden verläuft der Jakobsweg – Camino frances in der Landessprache - ab derEstella Ortschaft Roncesvalles bis nach Santiago. Bereits im frühen Mittelalter wurden von Mönchen, u.a. den Templern, für die Pilger Übernachtungsmöglichkeiten bereitgestellt. Heute teilen sich diese Aufgabe städtische und kirchliche Organisationen. Ein Teil wird auch durch Privatleute, den „Freunden des Jakobsweges“ zur Verfügung gestellt. In einem Teil der Unterkünfte wird vom Pilger ein fester Preis verlangt, andere begnügen sich mit einer freiwilligen Spende. Die Unterkünfte sind schlicht, meistens Bettgestelle mit nackten Matratzen, oft eine Möglichkeit zu kochen, Duschen sind (fast) immer vorhanden. Ab und zu findet man auch eine Waschmaschine. Ein Herbergsvater sorgt für die Organisation, vergibt die Betten und stempelt die Pilgerpässe ab. Die Refugios sind meistens erst ab dem Nachmittag geöffnet und schließen kurz nach 8.00 Uhr. Ich selbst habe nur eine Handvoll dieser Hospize besucht, als Radler kommt man schneller voran. Fußpilger sind froh darüber, dass die Herbergen in kurzen Abständen, etwa alle 20 km verfügbar sind. Es gibt sie natürlich in jeder Ausführung: Von total abgewohnt bis neu gebaut mit allem Komfort. Wobei „allem Komfort“ unseren modernen Jugendherbergen entsprechen. Grundsätzlich darf jeder Pilger mit Pass übernachten. Bevorzugt werden die Fußpilger, Begleitpersonen, die das Auto mit Gepäck fahren, dürfen bei Bedarf auch übernachten. Autoreisende und Gruppen, die mit Bussen anreisen, werden nicht aufgenommen. Auch Radler und Reiter – ja, auch die gibt es – müssen im Notfall ausweichen und die nächste Adresse ansteuern. Trotz heftiger Müdigkeit ist die Übernachtung in solchen Massenunterkünften nicht einfach. Man stelle sich vor: Zwanzig oder noch mehr Menschen eng gedrängt auf Matratzen in Stockbetten, oft kaum Platz für das Gepäck. Mindestens einer schnarcht immer, pausenlos winden sich Menschen zwischen den Rucksäcken durch, um auf die Toilette zu gehen. Morgens meistens schon um 5 Uhr beginnen die Ersten aufzustehen. Geklapper, Getuschel, mit der Taschenlampe leuchten usw. Ich habe unterwegs einige getroffen, die sagten: „Nein, in so eine Bude gehe ich nicht, ich brauche meinen Schlaf und meine Bequemlichkeit. Ich übernachte nur in Gasthäusern!“ Wer sich so etwas nicht leisten kann oder will, muss eben in den sauren Apfel beißen!

Los Arcos – Redecilla del Camino

Tagesetappe Durchschnitt Kumulierte Strecke
94,74 km 15,4 std./km 2.155 km

 Um 5 Uhr beginnen die ersten Wanderer ihre Habseligkeiten zusammen zu packen. Eine halbe Stunde später brummt der Schlafraum wie ein Bienenstock. Na gut, wenn alle aufstehen, kann ich ja nicht gut liegen bleiben, auch ich beginne zu packen. Wie immer sträubt sich der Schlafsack vehement dagegen, in die enge Hülle zu rutschen. Endlich ist er drin, kurz darauf steht alles gepackt zu meinen Füßen. Waschen und Zähneputzen sind schnell erledigt, andere wollen auch noch auf die Toilette oder an das Waschbecken. Um Viertel vor Sieben ist mein Rad fertig gepackt, es ist noch stockfinster, kein Mondschein, ringsum im Ort sind erst einige Fenster erhellt, ich schiebe das Rad auf die Straße, ein kurzer Blick nach links, kein Verkehr, es kann losgehen. So früh war ich bisher noch nicht unterwegs. Mit dem Zeltabbau und dem ganzen Drumherum auf dem Campingplatz war ich nie vor 9 Uhr weggekommen. Aber jetzt? Ich strample ohne Frühstück in die Dunkelheit. Das leise Surren des Dynamos begleitet mich, das armselige Licht meiner Fahrradbeleuchtung tanzt vor mir auf der Straße. Bisher kein einziges Auto in Sicht, die Luft ist derart klar und rein, kein Abgas, keine Menschen, nichts! Bereits seit einer halben Stunde bin ich unterwegs, ich komme zum nächsten Dorf. Das Krähen der Hähne erfüllt die Dunkelheit, aber schon bevor ich den Ort sehe, kann ich ihn riechen. Eine Wolke aus Kuhmist und Rauch empfängt mich, schnell ist das Dorf durchquert, die reine Luft kommt mir wieder entgegen. Langsam wird im Osten der Horizont etwas heller, ein grauer Streifen kündigt den Tag an. SonnenaufgangAm Eingang des nächsten Ortes überholt mich ein kleiner Lkw, hält einige Häuser weiter, zwei Mann springen aus dem Wagen, klappen die Pritsche nach unten und holen Säcke voll Brot, Brötchen und Gebäck von der Ladefläche. Der Duft nach Frischgebackenem steigt mir in die Nase, ich bremse schnell und frage: „Kann ich zwei Croissant haben?“ Im Prinzip ja, aber ich müsste einen kompletten Sack nehmen, sie verkaufen das Gebäck nicht einzeln und die Bäckerei vor der wir stehen öffnet erst um neun Uhr. Also 10 Teile Gebäck sind mir doch etwas zu viel, schweren Herzens fahre ich weiter. Der Magen knurrt, etwas kaltes Wasser aus der Trinkflasche soll ihn beruhigen, aber daraus wird nichts. Endlich, nach mehr als zwei Stunden Fahrt taucht ein Dorf auf, das etwas größer ist, dort müsste ich eigentlich eine Bar oder Bodega finden! Eine junge Frau sitzt mit ihrem Rucksack an einer Mauer und ruht sich aus. Die ist aber schon früh unterwegs! Und schon sehr weit gekommen. Ich erkundige mich, ob ich etwas zum Essen hier bekomme. Ja, dort am Marktplatz ist eine Bar offen, sie hat auch eben dort etwas gegessen. Schnell stehe ich in der hellerleuchteten Bar, nur einige wenige Besucher sind hier, ein großer Cafe ist schnell bestellt, aber was kann ich dazu essen? Hinter dem Glas einer Kühltheke sehe ich so etwas wie belegte Brötchen. Mit deutlichen Gesten zeige ich, dass ich davon zwei haben will. Der Barmann schaut mich mit großen Augen an. Ja, doch, ich brauche das! Absolut ungewöhnlich für den Mann, jemand, der mitten in der Nacht etwas isst! Aber als Peregrino hat man sozusagen Narrenfreiheit. Die Sandwichs sind mit Ei und Fisch belegt, aber bei meinem Hunger hätte ich auch belegten Karton gegessen. Gut gestärkt geht es weiter, Rückenwind und ziemlich kühl ist das Wetter, es läuft wie geschmiert. Im Lauf des Vormittags komme ich nach Logroño, der Hauptstadt der Rioja, dem größten Weinanbaugebiet Spaniens. Ich bin immer noch der irrigen Meinung, dass ich von jedem Ort einen Stempel brauche, aber ich finde das Hospiz nicht. Nach meinen Unterlagen ist es gleich am Ortseingang, wenn man den Fluss auf einer Brücke überquert, dann rechts in einer Seitenstraße. Dreimal fahre ich um das Karree, jedes Mal ohne Erfolg. Ich entschließe mich, meine drei Brocken Spanisch zu probieren: „Können Sie mir sagen, wo das Pilgerhospiz ist?“ Jedes Mal folgt ein Schwall von Worten, denen ich nur ein hilfloses „Si“ entgegen setzen kann. Ein junger Mann hat Mitleid, winkt mir zu, ich soll ihm folgen und führt mich bis zum Hospiz. Kein Wunder, dass ich vorbeifuhr! Eine ungekennzeichnete Tür in der Mauer, kein Schild, nichts! Nur ein unauffälliger gelber Strich am Gehweg zeigt an, hier ist etwas für Pilger. Der gelbe Strich begleitet die Fußpilger auf der ganzen Strecke. In jeder Stadt führt er sie durch Nebenstraßen bis ans Hospiz, zum Dom oder der Kathedrale und wieder hinaus zum weiteren Weg. Mir selbst mit dem Rad ist diese Markierung nicht zugänglich, sie nimmt keine Rücksicht auf Einbahnstraßen oder Fußwege, ich aber schon! Die Tür ist jedenfalls zu, der nette junge Mann erklärt: „Hier wird erst gegen Abend geöffnet!“ Ich bedanke mich sehr herzlich für seine Hilfe. Gegenüber sehe ich eine Polizeiwache. Ob die mir auch einen Stempel geben? Einfach mal fragen! Natürlich, kein Problem, ich bekomme meinen „sello“. Inzwischen weiß ich, ich hätte mir nur bei meinen Übernachtungen einen Stempel geben lassen müssen, das hätte auch gereicht, um die ersehnte Urkunde zu erhalten! Im Büro in Santiago murmelte der Mann an der Rezeption: „Aha, ein Stempelsammler!“ Aber es ist ja egal und außerdem sind die Stempel eine schöne Erinnerung. Der nächste größere Ort ist Santo Domingo de la CalzadaSanto Domingo de Calzada mit der berühmten Kathedrale. Mein Eintrag dazu:

Hühnerwunder! Hl. Domingo, Eremit am Ufer des Río Oja. Kapelle, Pilgerherberge und Hospital, baute Brücke und befestigte Straße zwischen Najera und Redecilla del Camino. Kirche 1106, Neubau im 12.Jh. davon Apsis erhalten. Turm und Südportal aus dem 18.Jh.

Und wirklich! In der Kirche ist ein Hühnerstall! Ein weißer Hahn und eine weiße Henne scharren und gackern in einem erleuchteten Käfig in fünf Metern Höhe. Ab und zu kräht der Hahn so kräftig, dass die ganzen Besucher aufschauen. Das Grab des heiligen Domingo ist teils unterirdisch, dort laufen die Besucher siebenmal um die Gebeine herum, bekreuzigen sich und sprechen nach jeder Runde ein Gebet. Ich treffe meinen Radkollegen aus Irland wieder am Eingang, er geht eben hinein, ich komme heraus. Wir wollen uns heute Abend wieder treffen, hat aber leider nicht geklappt. Ich treffe zwei Belgier, die eben beratschlagen, wo sie zum Essen hingehen. Einer spricht gut deutsch, lädt mich ein, ich soll doch mit ihnen Essen gehen, sie haben ein Lokal gesehen, wo es Pilgeressen für gaanz billig gibt. Ich habe zwar schon gegessen, aber in meinem ausgehungerten Zustand – ich habe seit Beginn der Reise mehr als 7 kg Gewicht verloren – kann ich bestimmt noch etwas essen. So ist es auch, ich vertilge Salat, Tintenfisch mit Reis in der eigenen Tinte und als Abschluss ein Riesenstück Melone. Zu dritt leeren wir eine Flasche Wein, der obligatorische Cafe solo gibt den nötigen Schwung, wieder in die Senkrechte zu kommen. Heute brauche ich nichts mehr, oder? Am Abend lande ich in einem winzigen Ort, das Hospiz ist über dem einzigen Lokal des Ortes im ersten Stock. Ich sitze mit 2 Franzosen zusammen, der Wirt des Lokals geht herum, fragt, ob jemand etwas zu essen will. Natürlich bin ich dabei, es gibt Salat und Schinken-Sandwichs, an dem man sich die Kinnlade verrenken kann.

Redecilla del Camino - Castrojeriz

Tagesetappe Durchschnitt Kumulierte Strecke
123,26 km 17,4 std./km 2.278 km

 Heute morgen bin ich schon kurz nach acht unterwegs. Das Wetter ist immer noch kalt, aber ichBurgos Kathedrale habe Rückenwind, der wiegt vieles auf! Schon nach 1 ½ km finde ich ein Lokal zum frühstücken. Oh, welch eine Blamage! Als ich bestellen will, fällt mir das Wort „Croissant“ nicht mehr ein! Aber mit deuten und Gestik bekomme ich doch noch meine Hörnchen. Etliche Fußpilger überholt, zwei Mädels aus USA, die gestern noch spät per Bike ankamen, machen so lange Pause, dass ich sie aus den Augen verliere. Ständig wechselt das Gelände, es ist ein ewiges Auf und Ab. Kurz vor Mittag bin ich bereits in Burgos. Diese spanischen Großstädte sind für Radler – zumindest für mich! – ein einziger Stress. Ständig pfeifen Autos, Lkws und Roller an mir vorbei, manchmal so knapp, dass ich froh bin, Packtaschen hinten dran zuNoch ein Pilger haben, die schön rot leuchten und hoffentlich die Verkehrsteilnehmer dazu bringen, ein paar Zentimeter nach links zu schwenken. Das Touristenbüro (für den Stempel!) habe ich schnell gefunden, die Kathedrale auch. Mein schlaues Heft sagt:

Seit dem 11.Jh. Bischofssitz und Hauptstadt von Kastilien. Hauptschauplatz des Heldenliedes »El Cid«. Kathedrale Santa Maria um 1221 von romanisch auf gotisch umgebaut. Seit 1921 das Grab von El Cid, unter einer schlichten Grabplatte in der Vierung.

Außerdem gibt es noch vier andere Kirchen und ein Hospital, außerdem ein Zisterzienserkloster. Ich beschränke mich auf die riesige Kathedrale. Ich muss mich beeilen, denn vor der Siesta wird die Kirche geleert, abgesperrt und erst abends um 5 wieder geöffnet. Dunkel ist sie und innen scheint sie noch größer als von außen zu sein. Die Seitenkapellen sind alle durch schwere verschlossene Eisengitter vom Hauptraum getrennt. Auch das innere Heiligtum und der Hauptaltar sind eingeschlossen. Nur mit einer Führung, die einen Batzen Geld kostet, kann man die Abteilungen besichtigen. Der Führer scheucht alle Teilnehmer in die Seitenkapelle oder den Hauptraum, sperrt ab und beginnt mit seiner Erläuterung. Das Grabmal von „El Cid“, dem spanischen Nationalhelden, der genau im Mittelpunkt der Kirche bestattet liegt, sehe ich nur durch Gitterstäbe. Ich hätte zähneknirschend an so einer Führung teilgenommen, aber leider ist keine Zeit mehr, ein Mönch in der Kutte und einer breiten Tonsur scheucht alle Leute aus dem Gebäude. Vor der Kathedrale werde ich auch noch Opfer eines bereden jungen Spaniers. In bestem Englisch bittet er mich um eine Spende für Aids-Kranke. Ich angle einen Geldschein heraus, will nicht so geizig sein. Aber erst, als der Junge sich fast überschlägt vor Danksagungen, merke ich, dass ich versehentlich umgerechnet 20 Mark gespendet habe. Ich wollte nur zwei geben! Jetzt ist es zu spät. Er drückt mir einen dicken Prospekt in die Hand und eilt davon. Das waren zwei Mittagessen! Hunger, wie immer, ich kreise um die Kirche, es gibt etliche Restaurants, aber alle so teuer, dass ich weitersuche. Endlich, in einem Außenbezirk, finde ich ein kleines Lokal, vorne wie üblich die absolut dreckige Bar, hinten das blitzsaubere Restaurant. Die Wirtin rattert ihre Liste herunter, an irgend einer Stelle sage ich „Si“, und schon ist das Essen unterwegs. Wie schon in Frankreich, ich verlasse mich auch hier darauf, die Geschmacksnerven sind bei uns Mitteleuropäern gleich, was einem Spanier schmeckt, sollte mir auch bekommen. So ist es auch, ich werde immer satt und es schmeckt vorzüglich. Natürlich kann schon einmal etwas nicht so toll sein, aber der nächste Gang hebt das wieder auf. Heute gibt es Suppe, Bifteki mit Tomaten und Pommes, danach Cafe und das alles für 1200 Peseten, etwa 14 DM. Der Rückenwind bleibt mir treu. Vielleicht weil ich so generös gespendet habe? In meiner Landkarte sehe ich, dass parallel zur R120 ein Weg eingezeichnet ist, der „Camino“ heißt. Den probiere ich! Aber, welche Enttäuschung! Nach etwa 10 km gebe ich auf, denn auf den faustgroßen SteinenOriginal Jakobsweg werde ich derart durchgeschüttelt, dass es unmöglich ist, vorwärts zu kommen. In der Ferne sehe ich einige Pilger, die laufen rechts oder links im Gelände, das kann ich leider nicht, denn auf den dornigen „Wiesen“ hätte ich mir schnell einen Plattfuß eingehandelt. Also doch wieder zurück auf die Straße. Nochmals mache ich einen Schwenk rechts in die Gegend und besuche ein Kloster. Student aus Göttingen getroffen, etwas geredet. Er erzählt mir, dass der Gastgeber, ein Mönch, für seine Zwiebelsuppe und seine Gebete berühmt ist. Die Suppe wäre ganz recht, aber die Gebete verstehe ich nicht. Außerdem ist es noch relativ früh, ich will noch ein Stück weiter. Heute wird es ein langer Tag. Erst sehr spät am Nachmittag radle ich über eine schmale Landstraße nach Castrojeriz, am Horizont tauchen kleine Dörfer auf, nur einige Häuser, aber mitten drin steht jedes Mal eine gigantische Kirche. Wie schaffen die paar Leute es, diese Bauwerke zu erhalten? Endlich, mein Hinterteil schmerzt schon gehörig, fahre ich in den Ort hinein. Ich muss noch tüchtig nach oben schieben, der ganze Ort ist an der Bergflanke unterhalb eines Schlosses bzw. jetzt einer Ruine aufgetürmt. Vor mir wankt ein Pilger mit einem Riesenrucksack die Straße hoch. So spät sehe ich normalerweise keine Fußpilger. Der Gute muss massive Probleme haben!

Abends speise ich in einem gepflegten Restaurant, ein älterer Holländer, der gut Deutsch spricht, setzt sich mit an meinen Tisch. Nach kurzem woher und wohin staune ich: Der Mann ist ein pensionierter Schuldirektor, der vor etwa 2 ½ Monaten zuhause in der Nähe von Amsterdam losgelaufen ist. Da will ich mit meiner Reise protzen! Und jetzt so etwas! Was ich mit dem Rad mache, läuft der Ex-Lehrer und noch ein ganzes Stück mehr. Täglich geht er etwa 30 km, übernachtet aber nicht in den Refugios, sondern sucht sich Zimmer in Hotels, Gasthöfen oder auch privat. „Ich kann sonst nicht schlafen! Das Schnarchen der anderen Pilger ist unerträglich. Und wenn ich nicht ausgeschlafen bin, komme ich nicht vorwärts!“ Heute hatte ich Glück mit meinem Telefongespräch. Konnte mit Frau, Tochter und Enkeltochter reden. Leider habe ich vergessen, zu fragen, ob mein Paket schon zuhause ist. Ich mache es immer noch so. Immer wenn ein Film voll ist, schicke ich ihn mit den nicht mehr benötigten Landkarten und den inzwischen gekauften Ansichtskarten nach Hause. So bleibt mein Gepäck schön leicht und meine Lieben sehen, wo ich mich herumtreibe. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit steige ich noch ein Stück den Berg hinauf. Eine Kirche steht weit abseits vom Ort, ein Mann bietet mir eine Führung durch die Kirche an, ich verstehe etliches von den Erklärungen. Mit dem Reden ist es nichts, aber das Hören wird schon sehr viel besser.

Deutsche auf dem Camino

Bisher habe ich einige getroffen: 4 Mann aus München, ein Ehepaar mit Tochter aus Essen, Student aus Göttingen, einen Mann aus Regensburg. Alle bis auf das Ehepaar mit Tochter machen auf mich den Eindruck von leichten „Spinnern“. Wenn ich mich mit ihnen unterhalte, driftet der Wortwechsel immer in das „Esoterische“ oder auch das „Gläubige“ ab. Bei Unterhaltungen mit Ausländern, die natürlich nicht so tiefschürfend sein können – wegen Sprachproblemen – ist das Gespräch viel lockerer. Sie sehen das eher als sportlichen Wettkampf. Die Deutschen grübeln und denken zu viel oder zu tief? Stressig diese Debatten!

Castrojeriz – El Burgo

Tagesetappe Durchschnitt Kumulierte Strecke
110,6 km 18,3 std./km 2.389 km

Habe heute morgen mein Zelt in einen Abfallkübel geworfen. Ich hatte es satt, nutzlosen BallastFromista spazieren zu fahren. Ich werde mit Sicherheit nicht mehr im Zelt übernachten. Erstens stinkt es, zweitens ist es zu kalt und drittens sind alle 10 Kilometer Refugios oder Gasthöfe, wo man für 3500 P übernachten kann.

Die meisten Fußgänger stehen morgens um 6 Uhr 30 auf und sind kurz darauf auf dem Weg. Ich habe mit zwei Deutschen gesprochen, warum sie denn so früh loslegen. Sie sagten, es ist wegen der Mittagshitze, sie laufen morgens die Hälfte der Etappe, ab Mittag verbringen sie einige Stunden im Schatten und nachmittags laufen sie den Rest. Als Radler macht man sich seine eigene Kühlung durch den Fahrtwind, so kann man auch mittags fahren. Trotzdem ist die Idee nicht so schlecht. Muss ich auch einmal ausprobieren. So kühl wie es jetzt ist, habe ich aber noch keine Siesta nötig. Immer noch Rückenwind. Der nächste größere Ort ist Fromista, die Kirche ist innen arm ausgestattet, dafür aber von außen ein Augenschmaus. Der Dachsims besteht aus Figuren, die nach unten schauen, teilweise Tiere, teilweise Ungeheuer oder Menschen. Keines ist wie das andere. Auch die Gesamtproportionen sind beeindruckend. Der sog. „goldene Schnitt“ wird hier perfekt vorgeführt. Am Ortsausgang treffe ich eine Schafherde. Der Leithammel istSchafherde ein Esel, der mich sieht, sofort stehen bleibt, hinter ihm stoppt die ganze Herde, der Hirt schimpft von hinten, aber der Esel steht stur und geht auch nicht weiter, als ein Hund zu ihm nach vorne flitzt. Endlich habe ich meine Bilder im Kasten. Als ich aufsteige und losfahre, geht auch der Esel weiter. Und das sollen dumme Geschöpfe sein? Wahrscheinlich hatte er vor mir noch nie einen Radler mit Sack und Pack gesehen, der mit einem unheimlichen Gerät herumfuhrwerkte. Ich fuhrwerke wirklich herum, die gestrige Rüttelstrecke ist meinem Foto nicht gut bekommen, ich kann das Objektiv nicht mehr scharf stellen, nur noch in Extrem-Weitwinkel geht es. Und dabei hatte ich meinen Apparat so genial mit Schaumstoffen in meiner Lenkertasche eingebaut. Ab jetzt also keine Nahaufnahmen mehr, nur noch Breitwand! Am Abend komme ich nach El Burgo, einem winzigen Dorf. Es sind schon einige Leute da, die etwas ratlos herumstehen. In der Nähe gab es einen Wasserrohrbruch, der ganze Ort hat kein Wasser. Dumm gelaufen! Ich bin nassgeschwitzt und drei mal wieder trocken geworden und möchte mir gerne den Dreck und den Schweiß abwaschen, aber so? Ich habe noch einen Rest Wasser in der Trinkflasche, versuche mich damit notdürftig zu reinigen und schimpfe leise vor mich hin, worauf ich prompt einen Verweis eines Deutschen erhalte: „Solche Worte nimmt man nicht in den Mund, wenn man auf dem Camino ist!“ Gut, ich sehe es ein, er ist verletzt, schimpfe ich eben lautlos weiter. Plötzlich, ein Rumpeln und Pfeifen in der Wasserleitung: Das Wasser kommt wieder! Ich springe sofort drunter und mit einem Riesensatz wieder aus der Dusche: Die Brühe ist total braun! Aber nach ein paar Minuten wird es sauber, endlich kann ich fein gesäubert im Gemeinschaftsraum Platz nehmen. Sogar meine Wäsche konnte ich noch waschen, es hängt alles auf der Leine, morgen früh wird es sicher trocken sein. Als ich mitten in der Nacht meine Wäsche abnehme – der morgendliche Tau macht sie wieder feucht, wenn sie schon fast trocken ist – stolpere ich fast über eine große Schlange, die sich durch das hohe Gras windet. Mein Satz nach hinten muss spektakulär gewesen sein, denn zwei deutsche Mädels winden sich vor Lachen. Erst als ich ihnen erzähle, warum ich so hupfte, werden sie wieder ernst und bitten mich inständig, ich soll ihnen doch ihre Wäsche abnehmen, sie gehen unter keinen Umständen mehr in dieses Gras. Natürlich, als Kavalier...

El Burgo - Astorga

Tagesetappe Durchschnitt Kumulierte Strecke
89,4 km 17,1 std./km 2.478 km

Gestern Abend hatte ich noch eine längere Unterhaltung mit einigen Deutschen. Sie sind den ersten Teil des Camino im Frühjahr bis Burgos gelaufen, jetzt, im Spätsommer, wollen sie den Rest noch hinter sich bringen. Sie wollen auf jeden Fall noch bis Santiago kommen. Hier, in diesem kleinen Ort, hat die Bar bereits ab 6 Uhr geöffnet, kleines Frühstück, um ½ 9 Uhr bin ich unterwegs. Der Weg ist neu angelegt, geschottert, schwierig zu fahren. Alle paar hundert Meter stehen zwei Steine im Weg, sie sollen Autos aufhalten. Meine Packtaschen gehen zentimetergenau so eben noch durch, ich muss präzise zielen. Links von mir stehen Reihen um Reihen kleine, frisch gepflanzte Bäume, jeder etwa 2 Meter hoch. Etliche sind verdorrt, aber die Mehrzahl sieht gut aus. Offensichtlich werden sie regelmäßig gegossen, gelbe Kunststoffrohre schauen wie Rüssel aus dem Wurzelballen nach oben. In ein paar Jahren kann der Pilger hier im Schatten dieser „Allee“ wallfahren. Vorläufig aber brennt die Sonne kräftig herunter. Die nächste größere Stadt ist LeónLeon Kathedrale. Wieder ist die Kathedrale das Ziel und diesmal lohnt es wirklich. Zwar ist die Fassade teilweise eingerüstet, aber das Innere, vor allem die riesigen Glasfenster verleihen dem Dom eine Leichtigkeit und Helligkeit, die ich bisher selten sah. Das bunte Licht, das durch die Bogen der Fenster strömt, ist quer durch das Kirchenschiff zu sehen. Sogar an der gegenüberliegenden Wand sind bunte Reflexe zu sehen. Es ist traumhaft schön! Es gäbe noch weitere Sehenswürdigkeiten, vor allem die Stiftskirche San Isidoro mit den Gräbern der Könige. (Ehemalige Hauptstadt des alten Königreichs León, aus römischen Lager (legio) entstanden. Kathedrale aus dem 13. Jh. Farbige Glasfenster.
Stiftskirche San Isidoro 1100 als Grablege für die königliche Familie; Pantéon de los Reyes. Fresken, im 12.Jh. Beide Eingangsportale auf der Südseite: Puerto del Cordero (Portal des Lamms) mit Agnus Dei und Opferung Isaaks; Hl. Isidor und Pelayo an den Flanken. Puerta del Perdón (Portal der Vergebung) Auferstehung Christi, an den Flanken Petrus und Paulus)

Aber mich zieht es mit Macht aus der Stadt hinaus. Flaches Land, heißes Land empfängt mich. Mittagessen in einem Restaurant, das in einen Hügel hinein gebaut wurde. Vorne sieht man nur ein großes Tor, darüber ein Steinwall, auf dem mindestens ein Meter Erde liegt. Schön kühl ist es hier, das Mittagessen ist teilweise wieder einmal Klasse – eine Art Bohneneintopf – zum anderen Teil mäßig – Tintenfischringe mit Brot, zäh wie Paketgummi und auch mit dem gleichen Geschmack. Aus Rache trinke ich die Flasche Wein fastGlasfenster aus. Hier in Nordspanien ist es Sitte, dass der Kellner eine komplette Flasche Wein – sie gehört zum Essen – auf den Tisch stellt. Anständige Gäste trinken ein oder zwei Glas, der Kellner nimmt die Flasche wieder mit und füllt wahrscheinlich eine andere wieder auf. Jedenfalls heute bin ich ein Rüpel, leicht angeschickert wackle ich nach draußen, in die Gluthitze, es hat bestimmt weit über 30 Grad. So kommt es mir wenigstens vor, ich komme ja aus dem Kühlhaus. In Wirklichkeit hatte es noch in León nur 13 Grad, aber nachmittags ist es viel wärmer geworden. Kurz darauf lande ich wieder einmal auf einer Autobahn. Lag es am Wein? Keine Ahnung, kurz entschlossen schiebe ich mein Rad über eine Böschung, dort ist ein Hinweisschild „Camino“, da wird es wohl weitergehen. Aber nach ein paar hundert Meter ist der Weg nur noch ein Trampelpfad und dann ganz weg. Ich schiebe wieder einmal durch eine Unterführung unter der Autobahn durch, dann noch einige hundert Meter durch Wiesen und Gestrüpp und stehe plötzlich in einem Industriegebiet. Endlich kann ichAtorga Bischofspalast weiterfahren. Nach endlosem Gestrampel liegt vor mir auf einem Hügelkamm die Stadt Astorga. Hier trifft die Ruta de la Plata auf den Jakobsweg, es ist der Weg, den die Pilger aus dem Süden, also aus Sevilla und Umgebung nehmen. Er ist bei weitem nicht so bekannt und inzwischen überlaufen wie der „Camino franco“, der Weg von Pamplona nach Santiago. Vor kurzem las ich im Internet einen Artikel. In den sogenannten heiligen Jahren, wenn der Namenstag des heiligen Jakob auf einen Sonntag fällt, kommen in Santiago etwa 150.000 Pilger an, die alle dem Weg von Pamplona her folgen. Den Küstenweg, an der Nordküste entlang, nahmen nur einige Tausend, die Ruta de la Plata kamen im letzten heiligen Jahr nur etwa 900 Pilger. Aber dieser Weg führt durch landschaftlich wunderbare Gegenden. Allerdings ist er auch noch nicht erschlossen, FußpilgerBischofspalast innen müssen manchmal – ich glaube insgesamt zweimal – Distanzen von über 40 km zurücklegen, dann erst kommt die nächste Einkehr.

Schnaufend quäle ich mich den letzten Anstieg hoch. Das Hospiz ist gleich am Stadteingang in einer kleinen Seitengasse. Ich finde es sofort, es ist schon gut belegt, im Halbdunkel des Schlafraumes sehe ich jede Menge verbundene Füße, Socken hängen frisch gewaschen auf einer Leine und verströmen leise den Duft nach Waschmitteln. Schnell bin ich auf dem Weg zur Dusche. Irgend ein Mensch hat in den Gang zu den Waschräumen einen Schemel gestellt. Schnell steige ich darüber weg und verschwinde in der Dusche. Es ist eine Wohltat! Das heiße Wasser lockert die verkrampften Schultermuskeln und den Rücken, von den tieferen Partien ganz zu schweigen. Als ich aus der Dusche komme, sehe ich erst das Schild: Dusche gesperrt, bitte neue Dusche benutzen. Ich hatte es leider – oder gottlob nicht gesehen, denn vor der anderen Dusche stand eine Schlange! Die Fußpilger haben ihre Blasen an den Füßen, der Radler hat sie – genau da! Eine Etage höher. Nichtsdestotrotz auch schmerzhaft, vor allem, wenn man sich am nächsten Tag wieder darauf setzen muss. Beim Abstellen des Rades komme ich in den Innenhof des Hospiz, er ist wunderschön, einige Pilger rasten im Schatten auf ihren Isomatten. Ich besorge mir in einem kleinen Laden einige Meter weiter mein Abendessen. Heute gibt es kalte Kost, etwas Käse, Wurst, ein Weißbrot und eine Flasche Limo. Ich sitze auf einer Bank am Rand der Mauer, die nach Westen zeigt. Ein paar Meter weiter sitzen zwei Ehepaare auch beim Essen, erkennbar Pilger. Natürlich an den Pflastern, die aus den Sandalen schauen! Wir kommen ins Gespräch. Der eine Mann – er hat nur vier Finger an jeder Hand, der kleine Finger fehlt – erzählt mir, dass er den Weg bereits im Vorjahr gelaufen ist, jetzt hat er seine Frau überredet, mit zu laufen. Die lächelt etwas süßsauer, was macht man nicht alles dem Mann zuliebe! Wir führen ein angeregtes Gespräch über Pflaster, Qualität, Notwendigkeit und alles drum herum. Nachdem ich beiläufig erwähne, dass ich aus Nürnberg komme, wird Herr Vierfinger munter: „Da kenne ich jemanden, die sind voriges Jahr den Weg mit einem Tandem gefahren!“ Na, ich wette, das waren meine Freunde, die „Radl-Halbgötter“, wer sonst fährt den Weg mit einem Langrad. Richtig, er erinnert sich an den Namen, ja genau, die waren es! Wir beschließen, noch etwas zu trinken. Schlendern gemächlich Richtung Innenstadt, besichtigen im Vorbeigehen den Dom und das bischöfliche Palais, ein spektakuläres Stück Baugeschichte des berühmten spanischen Architekten Antonio Gaudi. Es ist der reinste Zuckerbäckerstil, Türmchen und verspielte Ornamente. Disney hätte seine wahre Freude daran. In einem kleinen Lokal kehren wir ein, es wird noch ein vergnügter Abend. Der „café solo on the rocks“ war Klasse. Übrigens, die Herrschaften waren aus Koblenz.

Astorga – Villafranca del Bierzo

Tagesetappe Durchschnitt Kumulierte Strecke
85,3 km 14,7 std./km 2.563 km

Heute morgen steht ein besonderes Ereignis vor mir: Der Irago-Paß mit dem eisernen Kreuz, demAufstieg zum Iragopass „Cruz de ferro“. Die schmale Straße zieht sich durch eine Landschaft, die wie eine hügelige Heide aussieht, überall Heidekraut, aber teilweise über einen Meter hoch. Es ist etwas nebelig, die Fernsicht nicht so toll. Umso besser, mein Foto geht sowieso nur mit Weitwinkel und wenn das Objekt im Bereich von 50 Metern liegt. Aber auch so gelingen ein paar schöne Aufnahmen. Die Straße wird immer schmäler und steiler, die Fußpilger liegen schon weit zurück, obwohl sie fast zwei Stunden vor mir aufstanden. Die Koblenzer von gestern haben noch einmal gewunken und das „Ultreia“ gerufen,Iragopass den Gruß der Pilger. Ein kleiner Ort liegt am Weg, auf halber Bergeshöhe, malerisch in das Gelände geschmiegt. Es ist Rabanal del Camino, das Hospiz direkt am Weg sieht richtig einladend aus. Etliche Pilger erzählten mir später, dass hier ein ganz bekannter Mann als „Hospitalero“ d.h. als Herbergsvater arbeitet. Die Abende sollen grandios sein! Komisch, an den wackligsten Hütten sind Masten angebracht, einer für Mobilfunk, der andere offensichtlich für Richtfunkstrecken. Da weiß man wirklich nicht, wer hält jetzt wen? Die letzten Meter zum Gipfel, der Weg ist jetzt so schmal, ein AutoAm Iragopassmüsste anhalten, wenn ich daherkomme, aber es kommt keines. Ich hebe am Wegesrand einen Stein auf, der soll mit auf den Hügel des Kreuzes, ein alter Pilgerbrauch. Endlich oben, ich stelle mein Rad ab und steige den mindestens fünf Meter hohen Hügel hinauf, um meinen Stein anzulegen. Ein kurzes Gebet, ein Blick in die Runde, langsam klärt es auf, der Rundblick ist grandios. Bei der Gelegenheit: Nach meiner Rückkehr habe ich nochmals ein Buch über den Pilgerweg gelesen, dort stand drin: Jeder Pilger schleppt einen Stein von zuhause aus mit und legt ihn am Kreuz ab, zur Buße für seine Sünden, je größer, desto mehr Sünden! Ich habe geschummelt, aber ich wusste es nicht besser!

Nach einer tollen Abfahrt komme ichPilger am Abstieg am frühen Nachmittag nach Ponferrada , einer relativ hässlichen Industriestadt. Nur die riesige Templerburg ragt aus den Zweckbauten heraus und lädt zur Besichtigung. Aber es ist wie so oft Siesta, alles geschlossen. Nach der Mittagspause, wieder mal ein warmes Essen, mache ich auch ein Nickerchen auf einer Parkbank im Stadtpark. Sehr schön – neben, hinter, vor mir, auf allen Bänken liegen Leute und rasten. Es ist so schön im Schatten, man vergisstCruz de Ferro ganz, dass man mitten in einer Großstadt ist. Jetzt, am Nachmittag, habe ich auch keine Lust mehr, nochmals umzukehren und die Burg zu besichtigen. Kommt auch auf die Liste, später einmal! Nach elendem auf und ab liegt endlich der Ort vor mir, wo ich übernachten werde: Villafranca del Bierzo, direkt vor dem letzten Bergmassiv, das ich überschreiten muss. Das Hospiz ist ganz neu, nach Ikea Art eingerichtet, mit einem großen Aufenthaltsraum. Mit dem Herbergsvater etwas auf Englisch gequatscht, war ganz lustig. Er erzählt, gegenüber steht das alte Hospiz. Wirklich, diese Ruine? Ja, bis letztes Jahr war dort das Refugio. Bin ich froh! Nebenan ist die Kirche Santiago, dort erhielten kranke PilgerRundblick vom Iragopassp den Ablass, es gibt auch eine Gnadenpforte, die „Puerta del Perdón“ auf der Nordseite mit Skulpturen. Ich stiefle in den Ort hinunter, einige hundert Meter weiter unten komme ich an einer Mauer vorbei, übermannshohe Puppen lehnen dort auf langen Stangen. Schade, jetzt habe ich die Probe zu einem besonderen Spektakel verpasst, mit diesen Puppen wird morgen ein Schauspiel auf der Plaza de Major gegeben. So etwas ähnliches wie Oberammergau auf spanisch. Nach dem frugalen Abendessen, heute mit Lachs, schlendere ich noch etwas durch die Buden und genieße den lauen Abend. Hier ist so etwas wie eine Kirchweih mit Karussell und Losbuden, Tand und Spielzeug. Junge Mädchen in Festtagskleidung und Burschen, die sich ebenfalls „aufgebrezelt“ haben, flanieren die Straße auf und ab. Kurz nach zehn steige ich wieder die Treppen nach oben zum Hospiz. Morgen wird es ernst! Da muss ich ausgeschlafen sein.

Villafranca del Bierzo - Portomarin

Tagesetappe Durchschnitt Kumulierte Strecke
105,3 km 14,5 std./km 2.669 km

 Heute morgen erlebe ich, dass uralte Ressentiments immer noch nicht ausgestorben sind. DerTemplerburg in Ponferrata Schlafraum enthält acht Betten, die Hälfte davon sind belegt. Ich liege allein an der einen Wand, an der anderen drei Männer, zwei sind älter, einer jung. Morgens leise Gespräche, sie sind rücksichtsvoll, wollen mich nicht wecken, trotzdem bin ich schon lange wach. Die drei scheinen sich deutsch zu unterhalten, ich kann es aber nicht eindeutig identifizieren. Nach einigen Minuten gehe ich in den Waschraum, einer ist auch bereits beim Rasieren. Als ich ihn frage, ob er Deutscher ist, spuckt er wutentbrannt auf den Boden, trampelt darauf herum und schreit mich an: „Verdammte Deutsche“ oder so ähnlich. Ich reiße entsetzt die Augen auf, er wendet sich seiner Rasur zu, wir verbringen die Morgentoilette schweigend. DieNeue Autobahn beiden Älteren verlassen mit sehr leichtem Gepäck die Unterkunft, nur der junge Mann bleibt noch da. Kurze Zeit später spricht er mich in deutscher Sprache an: „Sie hatten wohl eine Auseinandersetzung mit meinem Vater?“ Als ich bejahe und erzähle, dass ich gedacht hatte, sie seien Deutsche und deshalb gefragt habe, erzählt er: „Wir sind Belgier, genauer Flamen, das klingt so ähnlich wie deutsch, ist aber eine eigene Sprache. Mein Vater hat im Weltkrieg sehr viel unter der deutschen Besatzung gelitten, Verwandte wurden verschleppt, sind bis heute nicht mehr aufgetaucht, deshalb hat er bis heute einen unbändigen Hass auf allesBlick nach Westen Deutsche.“ Langsam beginne ich die Begegnung zu verstehen. Mein Gegenüber erzählt weiter: „Er macht mit seinem Freund den Jakobsweg, die Beiden laufen jeden Tag mehr als 30 Kilometer und ich transportiere ihr und mein Gepäck mit dem Auto, deshalb liege ich hier noch im Bett und die anderen steigen schon auf den Berg. Ich hole sie zur Mittagspause ein, dann essen wir etwas, ich fahre dann voran und mache Quartier im nächsten Hospiz.“ Mein Gesprächspartner lebte einige Jahre in Köln und lernte dort unsere Sprache. Er selbst steht den Deutschen absolut entspannt gegenüber. „Meiner Meinung nach sind das alles alte Sachen, dieProviantverkauf Leute, die heute leben, haben mit dem Krieg nichts mehr zu tun, wir sollten uns alle vertragen!“ Ich stimme ihm aus vollem Herzen zu und mache mich etwas verspätet auf den Weg. Im Ort finde ich eine kleine Bar, in der ich frühstücke, es ist ziemlich kalt und diesig. Zwar kein Nebel, aber die Luft ist so früh am Morgen, die Sonne geht soeben auf, derart mit Wasser gesättigt, an jedem Zweig, jedem Blatt hängen Tropfen. Heute habe ich die Wahl. Alternative 1: Ich folge der N-VI, der neu gebauten Straße über die Berge, maximale Höhe 1.250 Meter, aber zwei unbeleuchtete Tunnel. Oder Alternative 2: Der Originalpass über eine Höhe von 1.500 Meter, aber ohne Tunnel. Ich entschließe mich zu einem Kompromiss. Ich folge der neuen Straße bis zur Passhöhe, vor dem ersten Tunnel biege ich auf die alte Straße ab und gehe so der Gefahr in den finsteren Röhren aus dem Weg. Ich Nachhinein gesehen habe ich zwar eine landschaftlich schöne Straße verpasst, aber soviel Kraft gespart, dass ich über die Berge kam, ohne auf dem letzten Loch zu pfeifen. Es wird eine elende Schinderei, im Schneckentempo fahre ich drei Stunden mit keuchendem Atem bergan. Nach einiger Zeit, als wieder einmal ein Lkw mit Donnergetöse an mir vorbeizieht und mich in eine stinkende Wolke von Abgasen hüllt, bereue ich es sehr, aus Bequemlichkeit die neue Straße gewählt zu haben. Aber wenn ich die alte Straße unter mir betrachte, die auf und ab, links und rechts geht, auf der die Pilger dahinwandern, sehe ich es doch: Hier spare ich Kraft für das entscheidende Stück weiter oben. Endlich kann ich die breite Autobahn verlassen. Eine schmale Straße windet sich immer weiterProviantverkauf nach oben. Nach dem ersten Pass kommt ein kleiner Ort, hier wird dem hungrigen Touristen an offenen Ständen Proviant verkauft. Mein Reiseführer verrät mir:

Paß Pedrafita do Cebreiro nach Galicien. Kirche Santa María Schauplatz eines Wunders: Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut Christi. Kelch und Patene zu sehen.

Alte keltische Rundhäuser (Pallozas), teilweise zugänglich.

Wenn die Autos nicht hier herumstehen würden, könnte man tatsächlich meinen, das wäre eine alte keltische Siedlung. AmKeltisches Rundhaus Palloza Ortseingang steht eine große Kupfertafel, sie zeigt das Netz des Jakobsweges in Westeuropa. Gerührt finde ich auch meine Heimatstadt. Nürnberg ist ein Knotenpunkt verschiedener Wege und deutlich eingezeichnet. Jetzt geht es weiter, die Straße steigt wieder an, noch zweimal muss ich einige hundert Höhenmeter nach oben treten um dann doch wieder ein Stück nach unten zu rollen. Endlich, ziemlich am Ende meiner Kraft, erreiche ich die letzte Höhe: Von nun an geht’s bergab! Bis nach Santiago kommt jetzt nur noch ein unbedeutender Hügel. Links am Wegesrand steht eine Skulptur: Ein eiserner Jakobspilger hält seinen Hut fest und stemmt sich dem Wind entgegen. Auch ich trotze dem Gegenwind. Ich habe seit heute morgen nur Obst, Limo und ein paarHoch oben Margaritas gegessen, mit leichtem Magen war es doch ganz gut, über die Berge zu kommen. Jetzt geht’s bergab, die Abfahrt hat es in sich. Mein Tandemfreund erzählte mir zuhause, an eben dieser Abfahrt hat sich an seinem Rad durch die Bremserei der Reifen von der Felge gelöst, er musste eine halbe Stunde warten, bis sein Rad soweit abgekühlt war, dass er weiterfahren konnte. Ich habe keine Angst, denn im Gegensatz zu den meisten Reiseradlern habe ich Trommelbremsen, die bei Erhitzung zwar schlechter ziehen, aber den Reifen nicht aufheizen. Es ist ein Erlebnis! Mit fröhlichem Pfeifen ziehe ich an Pilgern vorbei, die ihre dicken Rucksäcke bergab schleppen. Ich sehe jetzt doch öfters welche laufen. Ich fahre durch einen Ort,Verlassener Ort der direkt ausgestorben ist, kein Mensch, kein Hund, nicht einmal eine Taube. Die Straße ist mit Kopfsteinpflaster befestigt, in der Mitte der Straße läuft eine Abflussrinne, ich muss aufpassen, dass ich da nicht hineinrutsche. Endlich bin ich unten. Ich blicke zurück: Der Berg erhebt sich gigantisch hinter mir. Ich sehe die Straße, die ich herunterkam. Winzige Punkte bewegen sich da droben. Die Leute, die ich vor zehn Minuten überholte, sind kaum mehr zu sehen. Es wird auch im Tal jetzt etwas wärmer, wenn man in der Sonne ist, geht es, aber für eine längere Zeit im Schatten ist es zu kalt. Deshalb verzichte ich auf meine Siesta und fahre weiter. Eigentlich wollte ich in Saccia bleiben, aber ich bin durch die Stadt glatt durchgebraust und fahre einfach noch ein Stück weiter. Endlich kommt Portomarin in Sicht. Ich überquere einen Stausee auf einer enorm hohen Brücke, unten das Wasser ist nur noch ein kleiner Fluss, jetzt im Frühherbst ist das Wasser fast verbraucht. Fischerboote liegen hundert Meter vom Ufer entfernt und einige Dutzend Meter höher am Ufer. Der Ort selbst ist komplett neu gebaut, er lag vorher im Tal, durch den Stausee wurde er überflutet. Die alte Kirche, die wie ein viereckiger Klotz aussieht, wurde Stein für Stein abgerissen und höher am Hang mitten in die neu gebaute Gemeinde hineingebaut. Noch jetzt sieht man die Nummern der Steine. Das Refugio ist rappelvoll, überwiegend junge Leute in kurzen Hosen tummeln sich im Haus und auf der Wiese vor dem Gebäude. Tatsache: Keiner der jungen Leute spricht ein Wort Englisch. Ich versuche es mit ein paar Worten französisch, das können sie, aber auch nur ungefähr so gut wie ich, also schlecht. So bleibt unsere Unterhaltung eher elementar, auf das Nötigste beschränkt: Woher? Wohin brauche ich nicht zu fragen, das ist eh klar. Morgen komme ich ans Ziel meiner Pilgerfahrt: Santiago!

Portomarin - Santiago

Tagesetappe Durchschnitt Kumulierte Strecke
103 km 15,5 std./km 2.772 km

 Kurz nach 8 Uhr bin ich bereits auf dem Weg, noch in der Morgendämmerung, die Sonne geht erstPortomarin Kirche kurz vor 8 Uhr auf, habe ich in einer kleinen Bar an der Theke gefrühstückt. Die Tür geht auf, ein Mann – Bauer, wie es ausschaut, mit Gummistiefeln, kommt fröstelnd an, reibt die Hände, sagt drei Worte zu dem Barmann, kippt seinen Cafe solo und einen großen Schnaps hinterher, wirft ein kurzes „Hola“ in die Runde und verschwindet. Das Tuckern eines Treckers verklingt in der Ferne. Nebel steht zwischen den Häusern, er ist so dick, dass ich auf der Straße sehr vorsichtig ganz rechts fahre. Nach einiger Zeit höre ich vor mir ein leises „Tock-tock“, es ist ein Pilger, der mit seinem langen Stock in der Hand am linken Straßenrand dahin marschiert. Ich grüße kurz, er sieht mich wahrscheinlich überhaupt nicht in der Nebelsuppe. Aber nach kurzer Zeit lasse ich die Talsenke hinter mir, der Nebel löst sich auf, es wird wieder ein schöner sonniger Tag. Die Vegetation hat sich inzwischen grundlegend gewandelt. Auf der anderen Seite des Gebirges war alles braun und grau, Gras und Büsche verdorrt, die Bäume teilweise schon dabei, Laub abzuwerfen. Hier aber, in Galicien, so heißt die spanische Provinz in der Nordwestecke, ist alles grün, das Gras auf den Wiesen, die Hecken, die zeitweise die kleine Straße begleiten. Ich muss mich richtig durch die Sträucher drücken, um abseits ein Stückchen Wiese zu finden, wo ich eine kleine Pause einlegen kann. Meine Matte ist schnell ausgerollt, ich strecke mich aus und genieße die Sonne. Im Schatten ist es zwar etwas kühl, aber hier, windgeschützt hinter einer Brombeerhecke kann ich es aushalten. Nach einer Stunde werde ich wach, ich bin tatsächlich voll eingeschlafen. Die Sonne versteckt sich hinter dicken Wolken. Das schaut aber nicht gut aus! Da droht Regen. Ich mache mich schnell auf den Weg. Tatsächlich, nach einer halben Stunde beginnt es dauerhaft und ausgiebig zu regnen. Wie ärgerlich! Seit 20 Tagen schönstes Wetter und jetzt werde ich bei Regengeprassel mein Ziel erreichen! Nichts mit der Aussicht vom Monte de Gozo, wo die Pilger früher ihren König krönten, den, der als erster Santiago erblickte. Tief geduckt unter meiner Kapuze fahre ich dahin, die Schuhe habe ich natürlich wieder nicht ausgezogen, jetzt läuft das Wasser schon oben heraus. An einer Bushaltestelle stelle ich mich kurz unter, gegenüber liegt der Flughafen, eine Maschine startet soeben, zieht eine Fahne aus Regen und Abgas hinter sich her. Plötzlich steht ein Ehepaar aus München mit ihren Fahrrädern neben mir, sie haben an den roten Packtaschen erkannt: Das muss ein Deutscher sein. Wir plaudern etwas, aber irgendwie will jeder schnell weiter, es ist nicht mehr weit bis zu Stadt. Ich richte noch etwas am Gepäck, schon sind die Beiden weg: „Wir sehen uns in Santiago!“ Natürlich habe ich sie nicht mehr gesehen. Kurz nach 5 Uhr fahre ich am Ortsschild von Santiago vorbei: Ich bin angekommen. Ich schiebe mein Rad die alte Straße entlang, etwas absitzen tut ganz gut, links und rechts sind Arkaden, unter denen man im Trockenen dahinschlendern kann. Ich sehe ein kleines Hotel. Möglicherweise ist es das Haus, welches mir der Koblenzer in Astorga so warm ans Herz legte, der Wirt ist ein guter Freund der „Deutschen“ und hilft wo er kann, wenn ein deutscher Pilger etwas braucht. Tatsächlich, er ist es, aber leider hat er kein Zimmer mehr frei, alles ausgebucht. Aber „Senhor, wenn Sie brauchen Zimmer, ich weiß andere Haus, hat frei!“ Er gibt mir die Beschreibung, es ist nicht so weit, nur zwei Straßen längs und eine quer. Hier bekomme ich ein Zimmer, zwar nur für zwei Nächte, aber immerhin. Schön ist es auch nicht, winzig, Fenster zum Innenhof, aber sauber und das Bett weich. Vor allem ist die Dusche warm. Das brauche ich jetzt dringend, ich stehe schnatternd unter dem Strahl, endlich kommt es warm, dann heiß, ich werde langsam wieder aufgetaut. So, jetzt ziehe ich trockene Kleidung an, dann wird ein kleiner Bummel gemacht, vielleicht zur Kathedrale? Aber vorher will ich noch neue Schuhe kaufen. Meine einzigen sind klatschnass, so kann ich nicht loslaufen. Eine Straße weiter ist ein Schuhgeschäft. Ich habe zwar trockene Strümpfe angezogen, aber die saugen sich auch langsam voll. Ich möchte gern Sportschuhe, möglichst nicht zu teuer, aber dieses Schuhgeschäft führt nur normale Herrenschuhe. Ich suche mir ein Paar aus, als ich es probieren will und meine nassen Schuhe ausziehe, schlägt die Verkäuferin die Hände über dem Kopf zusammen: Aber nicht in die neuen Schuhe mit den nassen Strümpfen! Ein anderer Verkäufer weist wortlos auf einen Ständer hin, dort hängen Strümpfe! Endlich habe ich die Schuhe, ich lasse sie gleich an. Ist das ein tolles Gefühl! Trockene, warme Füße! Auf dem Rückweg zum Hotel fallen mir die vielen jungen Leute auf, die mit einem Regenschirm in der Hand durch die Straßen flanieren. Bei uns trägt „man“ Schirm so ab 30, drunter trägt man stoische Haltung, der Regen wird ignoriert. Aber bei diesem Klima, es ist eher irisch, ist die Einsicht offensichtlich höher, dass eine nasse Frisur noch „uncooler“ ist.Santiago Pilgerpforte

Ich schlendere zur Kathedrale. Welch ein tolles Gefühl, ich habe es geschafft. Als ich die Treppe zur Pforte der Pilger hinaufgehe, reißt die Regenwolke auf, ein Sonnenstrahl fällt auf den Brunnen mit den Pferdeköpfen. Das Brunnenwasser glitzert im Gegenlicht. Ich drehe mich um, links an der Tür ist das Relief des Propheten Moses eingemeißelt. Jeder Pilger legt seine Hand an die Figur, sie ist schon sehr abgegriffen, seit Hunderten von Jahren immer das gleiche Ritual, die Finger spreizen, die Hand in die Fläche legen, ein kurzes Gebet, und ich betrete die Kirche. Ich hatte sie mir größer vorgestellt, irgendwie überirdisch. Hoppla, jetzt, als ich zum Altar komme, sehe ich, dass ich durch den Seitenflügel gekommen bin und erst hier im Hauptschiff stehe. Natürlich, das Hauptschiff ist dreimal so lang wie das Seitenschiff. Welch eine Größe! Bewundernd stehe ich vor dem Altar, die Büste des Apostel Jakob blickt auf mich herab. Ich möchte schreien: „Seht her, ich bin angekommen!“ Neben und hinter mir stehen Pilger, nass und mit ihrem Rucksack auf dem Rücken, alle umarmen sich, bekreuzigen sich und sinken mit ihrem Gepäck in die Knie. Welch ein ergreifendes Bild! Morgen werde ich wiederkommen, eine Messe mitfeiern und nochmals den Anblick auskosten. Mein Reiseführer spricht mir aus dem Herzen: In dieser Kirche findet man keine Risse oder Brüche; sie ist wunderbar gearbeitet, groß, geräumig, hell, von entsprechenden Ausmaßen. Breite, Länge und Höhe sind harmonisch aufeinander abgestimmt; eine unbeschreibliche Anlage, die sogar wie der Palast eines Königs doppelt gebaut ist. Wer oben durch die Schiffe der Empore geht, wird, wenn er traurig hinaufgestiegen ist, froh und glücklich werden, nachdem er die voll­kommene Schönheit dieses Gotteshauses geschaut hat.

Santiago

Ist das nicht ein wunderbares Gefühl? Ich liege in einem Bett! Ganz allein, keiner schnarcht, geht auf die Toilette, kramt in seinem Rucksack. Jetzt könnte ich ausschlafen, aber ich bin trotzdem kurz vor acht wach, stehe auf, frühstücke im Hotel und mache mich auf den Weg zum Pilgerbüro. Dort erhalte ich nach kurzer Zeit meine Urkunde, die bestätigt, dass ich ein richtiger Jakobspilger bin. Nebenan ist die Kathedrale, es wird soeben ein Gottesdienst gefeiert, trotz Wochentag ist die Kirche halbvoll. Ich setze mich in eine Bank. Ich bin zufrieden und aus tiefstem Herzen dankbar, hier sitzen zu können. So viel hätte passieren können, Unfälle, Pannen, Krankheit, Gott sei Dank – im wahrsten Sinn des Wortes – es ist alles gut gegangen. Nach dem Gottesdienst mache ich noch die Touristenrunde: Rechts vom Hauptaltar eine Treppe hoch, oben sitzt ein Mönch, gegen eine kleine Spende erhält man seinen Segen, bekommt ein Heiligenbild und darf die Statue des Heiligen von hinten umarmen. Dann die Treppe links hinunter, unter dem Altar durch, dort steht der Schrein mit den Gebeinen des heiligen Jakob, kurzes Gebet, die Schlange schiebt weiter und schon ist man wieder draußen. Leider kann ich das berühmte Ritual mit dem fliegenden Räucherfass, dem „boteroBotero de fumare de fumare“ nicht sehen, es wird nur an besonderen Feiertagen abgehalten. Irgendwie ist jetzt die „Luft“ draußen, ich will nur noch heim. Die Fahrt zum Cap von Finisterre, um eine Muschel zu kaufen, lasse ich sausen. Das Reisebüro sagt mir zu, dass mein gebuchter Flug vorgezogen wird, ich zahle einen „Penalty“, eine Strafgebühr von etwa 50 Mark und darf morgen nach Hause fliegen. Auch mein Rad darf mit, es muss nur verpackt sein und kostet keinen Pfennig Gebühr extra. Ich sause in den nächsten Lebensmittelladen, hole einige Kartons, aus dem Schreibwarengeschäft eine Rolle Klebeband, eine Stunde später ist mein Rad perfekt verpackt. Das Abendessen, ein Zufallsfund, in einem Lokal, das nur Fisch führt, war bombastisch. So lecker habe ich bisher selten gespeist! Nur beim Wein war der Kellner etwas knickrig, erst auf meine Bitte und das Angebot, dass ich auch etwas aufzahle, bekomme ich noch ein zweites Glas eingeschenkt.

Der letzte Morgen in Santiago: Mitten in der Nacht um fünf Uhr werde ich geweckt, das Taxi soll um ½ 6 Uhr kommen, es ist auch pünktlich, ich verabschiede mich dankbar mit einem guten Trinkgeld von meinem kleinen Hotel, es war wirklich angenehm. Der Taxifahrer wehrt mit beiden Händen ab, als ich etwas von Fahrrad mitnehmen sage. No, Senhor! Aber nachdem ich gezeigt habe, dass das Rad voll verpackt ist, schiebt er es in den Kofferraum. Ja, so geht es schon! Ich sitze sehr beengt mit meinen 5 Packtaschen. Aber es geht nach Hause! Da ist alles egal. Am Flughafen geht es sehr schnell, Rad abgegeben, alle Packtaschen bis auf meine Lenkertasche abgegeben, jetzt bin ich frei und ledig. Noch ein kleiner Kaffee, ein letztes Croissant, dann wartet schon der Flieger. Drei Stunden später steige ich in Erding aus dem Flugzeug, meine Frau, meine Tochter und die Enkeltochter holen mich ab, stehen winkend an der Barriere. Es ist so schön, wieder nach Haus zu kommen!

Finale und Schluss

So, jetzt ist mein Reisebericht fertig. Möglich, dass ich einiges vergessen habe, sicher habe ich auch einiges verwechselt, aber in etwa so, wie beschrieben, war es auch. Was habe ich gelernt? Geduld und ein gewisses Gottvertrauen habe ich gelernt. Nicht zu weit vorausplanen, es kommt doch anders, als man denkt. Den Menschen vertrauen habe ich gelernt. Sie sind fast immer besser als ihr schlechter, in den Zeitungen ausgewalzter Ruf. Und den wenigen, die einem Pilger Böses wollen, bin ich nicht begegnet. Vor einigen Tagen las ich in der Zeitung, dass ein Ingenieur, der bei einer großen Firma in Nürnberg arbeitete, freigestellt und in den sogenannten Vorruhestand geschickt wurde, seinen Rucksack packte, der Familie ein Ade hinwarf und nach Santiago gelaufen ist – und wieder zurück! Er war 6 Monate unterwegs und hatte fast nur schlechtes Wetter. Der Jakobsweg hat mich seitdem auch nicht mehr losgelassen. Zweimal bin ich inzwischen die Strecke wieder gefahren, nicht mit dem Rad, sondern mit dem Auto. Habe meine liebe Frau mitgenommen, ich wollte ihr so viel zeigen, aber meine Liste der unerledigten Dinge ist nur ein bisschen kürzer geworden. Aber inzwischen haben wir den Rheinfall, die Burg Teck, in Le Puy die wunderschöne kleine Kirche auf dem Bergkegel besichtigt, in Rocamadur waren wir, auch zur Küste, die zur Zeit von einer furchtbaren Ölpest bedroht ist, sind wir gefahren, haben uns in Cap Finisterre den Punkt angesehen, wo die Pilger ihre durchgelaufenen Schuhe verbrennen. In der Kathedrale von Santiago waren wir dabei, als der Feuertopf durch das Querschiff geschwungen wurde, acht Padres hingen an dem dicken Seil, nur durch den Schwung des Ziehens flog der riesige Behälter mit einem lauten Sausen durch die Luft und vernebelte die ganze Kirche. Am Schluss wurde er mit einem gekonnten Schwung von einem einzigen Padre eingefangen. Der erhielt jede Menge Beifall!

Hier habe ich mir das tolle Erlebnis, mehr als dreißig Tage Radfahren, von der Seele geschrieben. Ich hoffe, es hat dem Leser Spaß gemacht, wenn nicht, ich zumindest habe mein Bestes gegeben. In diesem Sinne:

Ultreia!

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