Plädoyer für die Übernahme eines erwachsenen Hundes
Viele Interessenten wollen ausschließlich Welpen oder Junghunde bis zu einem maximalen Alter von 1 Jahr. Sie glauben, je jünger ein Hund sei, desto eher könne er so erzogen werden, wie sie es wollen. Die Praxis dagegen sieht ganz anders aus. Oft sind die Hundefreunde wenig über das Wesen Hund informiert und machen gravierende Fehler, die dazu führen, daß viele Hunde (nicht nur unserer Rassen) ins Tierheim kommen, weil sie "unerziehbar" und "unmöglich" sind. Der Gedanke, selbst daran schuld zu sein, kommt wenigen.
Ein beliebter Ratschlag von sog. "Experten" an den unbedarften HundeNEULING ist der Kauf eines Welpen. Aber gerade der Neuling hat keine Erfahrung und schnell ist ein Welpe verdorben. Erwachsene Hunde sind wesentlich "fehleresistenter". Sucht sich ein Hundeneuling einen erzogenen erwachsenen Hund, kann er langsam und ohne grobe Erziehungsfehler zu begehen das Wesen Hund "erforschen".
Ein Hundeneuling sollte sich NIEMALS einen Welpen holen, wenn er nicht bereit ist, regelmäßig (mind. 1x wöchentlich) eine SEHR GUTE Welpenschule zu besuchen (doch die Qualität einer Hundeschule kann ein Hundeneuling nicht beurteilen) und sich schon VORHER durch MEHRERE gute Erziehungsfachbücher neueren Datums zu informieren.
Hunde sind sehr anpassungsfähig, auch die älteren. Ein Hund, der sich bei einer Familie unmöglich verhalten hat, kann bei der neuen Familie innerhalb weniger Monate ein ganz anderer unkomplizierter Hund werden. Durch ihre Anpassungsfähigkeit haben wenige wirkliche Probleme mit der Umstellung. Ein besonderer Unsinn ist es, wenn behauptet wird, diese oder jene Hunde einer bestimmten Rasse seien "Einmannhunde", die sich nicht mehr an neue Besitzer gewöhnen würden. Häufig wird dies den Molossern nachgesagt, so daß viele Interssenten von der Übernahme eines erwachsenen Hundes Abstand nehmen.
Welpen, die in der Vermittlung laden, sind schnell vermittelt. So konnte der Filawelpe einer Hundepension und die Bullmastiff-Mix-Welpen aus dem Tierheim Frankfurt innerhalb weniger Wochen über unsere Seiten vermittelt werden. Dagegen hat sich wochenlang niemand für den 18 Monate alten Mastinorüden oder für die 4jährige Alanohündin Lucy (sie wurde zwischenzeitlich an Bekannte von mir vermittelt) interessiert.
Folgendes sollte man bedenken:
Die meisten erwachsenen Hunde sind stubenrein.
Die meisten erwachsenen Hunde zernagen nichts mehr.
Die meisten erwachsenen Hunde bleiben alleine (nach einer genügend langen Eingewöhnungsphase).
Die meisten erwachsenen Hunde sind konzentrierter bei der Ausbildung, lassen sich nicht mehr so leicht ablenken. Sie lernen zwar nicht mehr ganz so schnell, doch arbeiten sie eben bei Ablenkung zuverlässiger.
Die meisten erwachsenen Hunde sind ruhiger, "nerven" weniger und brauchen weniger Auslauf (gilt ab einem Alter von ca. 2 - 3 Jahren, je nach Rasse)
Der Hund ist geistig erwachsen. Das tatsächliche Wesen ändert sich nicht mehr wesentlich (gilt ab einem Alter von ca. 2 - 3 Jahren, je nach Rasse). Zeigt sich ein erwachsener Hund als hundeverträglich, wird sich daran kaum mehr etwas ändern. Ein Welpe/Junghund kann allerdings mit Eintritt in das Erwachsenenalter noch unverträglich werden. Ebenso wird ein erwachsener Hund, vom dem bekannt ist, daß er sich bei Joggern, Fahrradfahrern und Wild neutral verhält, in diesen Situationen auch weiterhin korrekt verhalten. Bei Welpen/Junghunden dagegen kann sich ein unerwünschtes Schutzverhalten bzw. Jagdtrieb herauskristallisieren. Ist ein Hund leinenführig und kennt die gängigen Kommandos, wird er diese bei normalen konsequenten Alltagstraining und genügend Beschäftigung und Auslauf auch nicht wieder verlernen.
Viele glauben, bei einem Welpen und Junghund sei die Wahrscheinlichkeit größer, daß man den Hund lange hat. Das mag zwar im allgemeinen stimmen, aber auch hier kann man ganz andere Erfahrungen machen. So sterben viele Molosser (auch diejenigen von "guten" Züchtern) aufgrund von Krankheiten schon sehr jung. In den letzten 6 Monaten waren in meinem Bekanntenkreis zwei Bordeauxdoggen (1,5 Jahre bzw. 2,5 Jahre) mit Epilepsie, ein Mastinohündin wurde mit 1,5 Jahren eingschläfert, weil sie starke Arthrosen in den Gelenken hatte (vorher wurde sie mehrfach an den Augen operiert, hatte 2 Kreuzband-OP's hinter sich). Ein weiterer Mastino ist mit ebenfalls 1,5 Jahren so groß wie ein 6 Monate alter und hat nur noch eine geringe Lebenserwartung. Natürlich hofft man immer, daß der eigene Welpe gesund bleibt und alt wird. Doch es gibt eben keine Garantie. Im Gegensatz dazu sind Tierheimhunde nicht automatisch krank. Auch Hunde aus "dunklen" Kanälen müssen nicht zwangsläufig Hunde mit geringer Lebenserwartung sein. Von den 6 Tierheimhunden, die ich bisher hatte, starb der Fila mit 12,5 Jahren (ihn hatte ich mit 4 Jahren übernommen). Meine erste Mastinohündin war 7,5 Jahre und wurde trotz des schlechten Zustands, in der ich sie bekam, immerhin 9 Jahre. "Trudi", mein jetziger "Oldie" ist ca. 10 Jahre. Ich holte sie mit einem geschätzten Alter von 8 Jahren aus dem Tierheim. Sie ist fit und bis auf eine Altersspondylose gesund ("Klopf auf Holz"). "Trudi" hat nichts gekonnt, aber bereits 1 Jahr später legte sie die Prüfung zum Aschaffenburger Hundeführerschein (Info's www.hundeschule-ab.de) als Beste ab.Was muß ich VOR der Übernahme eines erwachsenen Hund beachten:
Sorgfältige Auswahl nach Charakter (nicht nach Aussehen).
Man sollte sich genau überlegen, welche Eigenschaften ein Hund haben muß, um in die Familie zu passen (muß er Kinderlieb, Hund-, katzenverträglich sein, muß er alleine bleiben können, soll er viel oder wenig Auslauf brauchen).
So viel Info's wie möglich über die Vorgeschichte und den Charakter des Hundes in Erfahung bringen.
Wenn möglich, den Hund erst einige Male vor der Übernahme besuchen. Wenn möglich, für einige Stunden mit nach Hause nehmen.Was muß ich NACH der Übernahme eines erwachsenen Hund beachten:
Der Hund braucht Zeit zur Eingewöhnung und Ruhe, keine ständigen Besucher, die den Hund bedrängen und mit Streicheleinheiten überschütten.
Erst nach ca. 3 Wochen ist die erste Phase überstanden.
So richtig zusammengewachsen ist die Familie nach 3 Monaten.
Erste Anfangsschwierigkeiten bleiben nicht aus. Statt den den Hund gleich zurückzugeben, sollte man sich Lösungsstrategieen überlegen. So kommt es häufig vor, daß ein neuer und ein bereits zur Familie gehörige Hunde nicht gleich dicke Freunde sind. Es ist durchaus denkbar, daß ein Hund aus Unsicherheit zunächst einzelne Familienmitglieder anknurrt.Ebenso könnte der Neuling die massive körperlichen Liebkosungen der Kinder falsch verstehen, deshalb sollte man die Kinder entsprechend bremsen. Sind Katzen im Haus, sollte der Hund die erste Zeit nur angeleint Kontakt aufnehmen können, denn auch hier könnten von beiden Seiten erst einmal Mißverständnisse entstehen. Auch bleiben viele Hunde nicht sofort alleine, sondern müssen erst sicher sein, daß sie nun ein neues Heim gefunden haben.
Selbstverständlich sollte es sein, die ersten Wochen, weder Kinder, noch Hunde, Katzen und andere Haustiere mit dem Neulinge unbeaufsichtigt zu lassen. (Anmerkung: Kinder sollten generell auch später NIE mit Hunden - egal welcher Rasse und Vorgeschichte - alleine gelassen werden!!)Fazit:
Mut zum erwachsenen Hund. Selbst Familien mit Kindern gehen nicht automatische ein unkalkulierbares Risiko mit der Übernahme eines erwachsenen Hundes ein. Ein Hund, von dem man weiß, daß er vorher viele gute Erfahrungen mit Kindern gemacht hat oder der sich z. B. im Tierheim im ständigen Umgang mit Kindern als unproblematisch erwiesen hat, kann ein toller Familienhund werden.
(Katharina Keck, September 2000)