Carl Maria von Weber
und seine unbekannte Dresdener Kirchenmusik
Carl Maria von Weber (1786-1826) ist vor allem als Opernkomponist und als Verfasser brillanter Instrumentalmusik bekannt. Weniger bekannt ist, daß er auch kirchenmusikalische Werke geschrieben hat. Bereits 1797/98 (und nochmals 1801), mit 12 Jahren, war er, wenn auch nur kurz, Schüler des damals im Urteil der Zeitgenossen bedeutendsten deutschsprachigen Kirchenmusikers, Michael Haydn, der ihn in Klavier, Gesang und Kontrapunkt unterrichtete. Darüber hinaus war er in dieser Zeit Sängerknabe an der fürsterzbischöflichen Kapelle in Salzburg. In dieser Zeit entstand Webers erstes Werk, eine Sammlung von 6 Fughetten für Klavier (WeV S.1), aus denen er 20 Jahre später verschiedene Teile in seiner Es-Dur-Messe WeV A.2 wiederverwenden sollte. Weiteren Unterricht erhielt Weber 1798 bis 1800 beim Hoforganisten Johann Nepomuk Kalcher in München. Hier komponierte er 1799 eine erste Messe, eine dem damaligen Salzburger (weltlichen) Domherren*) Fürst Ernst von Schwarzenberg gewidmete Missa Solemnis (Jähn-Verzeichnis Anh. 8, WeV A.1 der neuen Weber-Gesamtausgabe), die lange verschollen war und erst 1925 in Salzburg wiedergefunden wurde. Im Druck erschien sie erstmals im Jahr 1928 in Augsburg. Weiterhin entstand ein fragmentarisches Benedicamus Domine D-Dur für Sopran und Baß. Mit diesen beiden Werken war Webers Tätigkeit auf dem Gebiete der Kirchenmusik allerdings vorerst beendet.
*) Fürst Schwarzenberg war nicht, wie häufig zu lesen ist, Salzburger Erzbischof, sondern ab 1818 Bischof von Györ (dt.: Raab) in Ungarn. Erzbischof von Salzburg war in der fraglichen Zeit bis 1812 der aus der Mozarthistoriographie hinreichend bekannte Hieronymus Graf Colloredo, der auch Ernst von Schwarzenberg 1807 in Wien zum Priester weihte.
Messe in Es-Dur, WeV A.2 "Missa sancta" Nr.1
Am 21. Dezember 1816 wurde Weber mit dem Auftrag, eine deutsche Oper aufzubauen, nach Dresden berufen, wo er zunächst als Musikdirektor angestellt wurde und am 10. Februar 1817 das Dekret zum königlich sächsischen Kapellmeister erhielt. Als solcher war Weber auch für die katholische Hofkirchenmusik zuständig, ein Amt, das er sich mit Francesco Morlacchi, dem Kapellmeister der italienischen Oper in Dresden teilte. Da König Friedrich August I. (der Gerechte: als Kurfürst bis 1806 Friedrich August III.) seit 1791 auch erwählter König von Polen und zugleich von 1807-1815 Herzog von Warschau war, war der sächsische Königshof katholisch, obwohl Sachsen an sich eines der protestantischen Kernländer war. Max Maria von Weber, der Sohn Carl Maria von Webers, hat in der Biographie seines Vaters (Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig, 1866, S. 125.) den Umfang der Dresdener Hofkirchenmusik überliefert, der zufolge jeden Sonn- und Feiertag Messe und Vesper zu singen war, letztere auch jeweils samstags und am Vorabend von Feiertagen, dazu kam noch ein täglich gesungenes Miserere in der Passionszeit und weitere einzelne Verpflichtungen. 1817 erhielt Weber in seiner Eigenschaft als Kapellmeister den Auftrag, zum Namenstag des Monarchen am 5. März (1818) eine Messe zu schreiben.
Wann die Komposition dieser Messe, der Missa sancta (Nr.1) in Es-Dur begonnen wurde, ist nicht ganz klar. Zwar erwähnt Weber erstmals die Arbeit an einer Messe in einer kurzen Tagebuchnotiz am 20. Juli 1817 ("gearbeitet, Am Annen Tage [Anm.: WeV B.11]. Meße pp.") und drei Tage später noch einmal in einem Brief an seine Braut und spätere Ehefrau, die Schauspielerin und Sängerin Caroline Brandt in Prag: "ich arbeitete ein bißel an der Oper und an der Meße". Dies steht allerdings im Widerspruch zu seiner Tagebuchnotiz vom 4. Januar 1818: "gearbeitet. Meße angefangen. Kyrie." Zwei Tage später vermerkte er: "Kyrie vollendet entworfen". Am 5. Februar stellte er es fertig. Die übrigen Messteile entstanden ab Mitte Januar, immer wieder von anderen Tätigkeiten unterbrochen; vollendet wurde die Messe schließlich am 23. Februar 1818: "Benedictus instru: und somit die Missa vollendet. Soli Deo Gloria". Auch an das Ende der autographen Partitur mit der Überschrift "Missa sancta in Musicam translata a Carolo Maria de Weber" setzte Weber wie auch bei allen seinen anderen großen Werken ein "Soli Deo Gloria". Die Schlußfuge im Gloria ist der Nr.2 aus den 6 Fughetten WeV S.1 von 1798 entlehnt, allerdings mit einem von 3/4 auf 4/4 geändertem Takt. In gleicher Weise ist das "et incarnatus"-Motiv des Credo der Nr. 6 dieser Sammlung entnommen. Heute trägt diese Messe die Opuszahl WeV A.2 (früher op. 75, JV 224). Auf ausdrücklichen Wunsch des Königs entstand zu dieser Messe auch das Offertorium "Gloria et honore" WeV A.3 (JV 226), das am 1. März 1818 vollendet wurde. Am 6. März fand die Generalprobe statt und eine erste Aufführung am Sonntag, den 8.März. Am nächsten Tag schrieb Weber an die Gesangspädagogin und Sängerin Friederike Koch nach Berlin:
"Gestern ist nun diese Meße zum 1t male aufgeführt worden, und hat gewirkt, wie ich es hoffte. Gott hat das Beginnen gesegnet, und ich kann wohl sagen, daß ich etwas gutes gemacht habe."
Bei dieser Aufführung am 8. März war der Hof nicht zugegen, allerdings erwähnte Max v. Weber, daß Konradin Kreutzer und der Leipziger Philosoph und Musiktheoretiker Amadeus Wendt anwesend waren und Weber ihre Anerkennung ausgesprochen haben. Am 17. März traf man sich zur nochmaligen Probe des Offertoriums, auch das Gloria und das Sanctus der Messe wurden noch einmal geprobt. Am Dienstag, den 24. März 1818 schließlich erklang die Messe und das Offertorium in Gegenwart des Königs und des gesamten Hofes in der Dresdener Hofkirche St. Trinitatis. Weber schrieb darüber in sein Tagebuch:
"d: 24t meine Meße. die Kirche gedrängt voll, und stille Aufmerksamkeit. ging sehr gut. Anrufen fremder Menschen auf dem Gange. [...] Graf Vizthum [Anm.: Heinrich Carl Wilhelm Graf Vitzthum von Eckstädt, Direktor der Königlich musikalischen Kappelle und der beiden Theater von 1815 bis 1820] überbrachte die Zufriedenheit des Königs."
Die Resonanz auf die Messe war durchweg positiv. Am 13. April überbrachte Graf Vitzthum Weber einen brillantenbesetzten Saphirring als Anerkennung des Königs. Einen Monat später schrieb Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
"In diesem Gewirre drängte mich noch die Nothwendigkeit dem Könige eine Meße zu schreiben. Eine Arbeit die ich mit Liebe begann, erfüllt von der Größe meines Gegenstandes, und im Bestreben in dieser Gattung nichts gewöhnliches oder mittelmäßiges zu liefern. Anhaltende Anstrengung ließen mich diese Arbeit d: 1t März vollenden. die d: 8t zum 1t male und d: 24t zum 2t male gegeben wurde. die allgemeine Sensation und Theilnahme die sie erregte, war mir ein schöner Lohn. und der brillanten Ring den mir der König übergeben ließ, konnte mich deßhalb erfreuen weil vor mir kein in seinen Diensten stehender KapellMster sich einer ähnlichen Auszeichnung zu erfreuen hatte."
In ähnlicher Weise drückte Weber seine Freude auch in vielen anderen Briefen aus, u.a. an den Verleger Carl Friedrich Peters in Leipzig, den Musikkritiker und Herausgeber der allgemeinen musikalischen Zeitung, Friedrich Rochlitz in Leipzig und den Komponisten Franz Danzi in Karlsruhe. Diese Auszeichnung muß Weber sehr gut getan haben, da er in der Entstehungszeit von Messe und Offertorium unter Anfeindungen und großem Arbeitsdruck gelitten hatte: Sein Kollege und Konkurrent, der Kapellmeister der italienischen Oper in Dresden, Francesco Morlacchi, weilte seit September 1817 in Italien, Weber mußte ihn also neben seinen eigenen Verpflichtungen sowohl als Kapellmeister der italienischen Oper als auch im Kirchendienst vertreten. Seine innere Verfassung in dieser Zeit läßt sich aus einem Briefentwurf vom 2. Juli 1818 an Carl August Fesca, einen Bruder des Geigers Friedrich Fresca entnehmen:
"Ende December [Anm.: 1817] kam ich zurük. [Weber war zuvor mit seiner Frau zur Regelung von Familienangelegenheiten in Mannheim gewesen] Wo eine Last aufgehäufter Arbeit sich vorfand. Meinem König war ich schuldig ein größeres Werk zu liefern, eine Meße zu seinem Namenstage. Sie wurde vollendet bis zum 8t März 1818 [Hinzufügung am Rand:] eine Frucht der Nächte, in einer Krisis wo ich mehremal auf dem Punkte stand meinen Abschied zu nehmen."
Den gleichen Tenor kann man am 24. August 1818 einem Brief an seinen Freund, den Komponisten und späteren Wiener Domkapellmeister Johann Gänsbacher nach Innsbruck entnehmen:
"da gabs dann viel verhaltene Geschäfte und Kabalen. ich entschloß mich neben meiner vielen Arbeit, noch eine Meße zum Namenstage des Königs zu schreiben, und that es mit Liebe und Sorgfalt, d: 8t März wurde sie aufgeführt zum 1t mal, und machte Wirkung. ich wollte ich hätte die Freude sie dich hören zu laßen. In dieser Periode hatte ich viel Verdruß, mein Cheff [Anm.: Graf Vitzthum] und ich standen einigemal auf dem Punkte unsern Abschied zu fodern, und da lernte ich erst recht das Glük schätzen ein theilnehmendes treues Wesen um mich zu haben als Lebensgefährtin."
Am 6.Mai 1818 erschien eine ausführliche Besprechung der Messe in der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung aus der Feder des Dresdener Tenors Antonio Benellis. (Beilage hierzu)
Messe in G-Dur, WeV A.5 "Jubelmesse"
Wegen des großen Anklanges, den diese Messe und das Offertorium im Königshaus gefunden hatten, folgte noch im selben Jahr der Auftrag zu einer weiteren großen Messe anläßlich der goldenen Hochzeit des Königspaares: 1769 hatte der damals 19-jährige Friedrich August die zwei Jahre jüngere Maria Amalie Auguste Pfalzgräfin von Birkenfeld-Zweibrücken-Rappoltstein geheiratet. Die Ehe galt als außerordentlich harmonisch, wenngleich sie kinderlos blieb. Am 16. Oktober 1818 schrieb Weber an seinen Freund Johann Friedrich Rochlitz in Leipzig über sein Vorhaben:
"Ich fange an wieder an einer neuen Meße zu arbeiten, die ich Ihrer Majestät der Königin, der Jubelhochzeit zu Ehren, schreiben will. Habe ich mich in der ersten [Anm.: der Es-Dur-Messe] ganz meiner Ueberzeugung und dem tiefen Gefühl der Größe des Gegenstandes hingegeben, so will ich jezt mir eine froh und fröhlich kindlich bittend und jubelnd zum Herrn betende Schaar denken."
Ende Oktober war das Gloria fertig skizziert, am 13. November das Credo, die übrigen Messteile entstanden zwischen dem 3. und 20. Dezember. Am 4. Januar 1819 vollendete Weber die Missa sancta Nr. 2 in G-Dur, WeV A.5 (op. 76, JV 251). An diesem Tag notierte er in sein Tagebuch:
"Abends gearbeitet. Missa gänzlich vollendet. Ehre sey Gott in der Höhe. Ihm allein Dank und Lob dafür!!!"
Weber fühlte sich in dieser Zeit dem Königspaar besonders verpflichtet, da dieses die Patenschaft für seine am 22. Dezember 1818 geborene Tochter Maria Caroline Friederike Auguste übernommen hatte. Bereits am 18. Dezember 1818 war das ebenfalls ausdrücklich gewünschte Offertorium "In die solemnitatis" WeV A.4 (JV 250) fertiggestellt worden. Die erste Aufführung erlebte die neue Messe am Tag der goldenen Hochzeit des Königspaares, am Sonntag, den 17. Januar 1819, allerdings ohne das Offertorium. Statt dessen erklang das Offertorium "Sit nomen Domini benedictum" von Francesco Morlacchi. Erst am darauffolgenden Sonntag, den 24. Januar 1819 anlässlich der 2. Aufführung der "Jubelmesse" wurde auch Webers dazugehöriges Offertorium "In die solemnitatis" dargeboten. Aus dem Kompositionsanlaß des 50-jährigen Ehejubiläums der Auftraggeber stammt auch der Beiname "Jubelmesse"; im englischen lautet er richtiger "Jubelee Mass", Jubiläumsmesse. Weber selbst verwendete auch die Bezeichnung "Missa Jublilea". Mit dem Erfolg war Weber im Großen und Ganzen zufrieden, zumal besonders auch die Musiker der Kapelle ihre "gänzlichen Verschiedenheit mit der vorigen" lobten. Die Aufnahme beim Hof war dagegen allenfalls indifferent, was zu erheblicher Verstimmung bei Weber führte. Am 30. Januar 1819 schrieb er an Johann Friedrich Rochlitz nach Leipzig:
"Von Oben, wurde sie hingenommen, wie ein pflichtschuldigst hingegebenes Stük leeres FließPapier. Nicht einmal ein Wörtchen Dank für die Aufmerksamkeit - - der K[önig] meinte sie hätte ihm nicht mißfallen, aber freylich sei immer noch etwas Beethovensches /!/ drin, |/: welcher als das böse musikalische Prinzip angesehen wird, obwohl man ihn eben so wenig da oben kennt, als den Teufel :/. Nun, auch gut - ich bin nun fertig; habe das meinige gethan, ja, erschöpft, und damit Punktum. Ich werde meine Pflicht als ehrlicher Mann thun, das versteht sich, aber auch kein Deutchen mehr, und so viele Zeit ich für die Welt und meine Ruhe gewinnen kann, werde ich zu erhalten suchen. denn da die Nichtsthuenden gleich geachtet, und die Thätigen nicht geachtet werden, so wäre man sein eigener Feind über die strengsten Gränzen des pflichtschuldigsten hinauszugehen. - Punktum! das wird demohngeachtet meine Liebe und treue Anhänglichkeit nicht mindern, nur mir anzeigen wie weit ich zu gehen habe um nicht zudringlich zu erscheinen."
Webers Demotivation durch die geringe Resonanz ist augenfällig. Ob man "da oben" Beethoven kannte, sei dahingestellt; das Argument, daß seine Messe zu "beethovensch" wäre, war im Hinblick auf Kirchenmusik eine Floskel, welche seinerzeit die Haltung weiter intellektueller Kreise wiedergab, und der E.T.A. Hoffmann bereits 1813 mit seiner Rezension der C-Dur-Messe op. 86 von Ludwig van Beethoven in der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung (in Nr.24 Sp.389-397 und Nr.25 Sp.409-414, 16. bzw. 23. Juni 1813) sowie 1814 mit seinem Aufsatz "Alte und neue Kirchenmusik" in der nämlichen Zeitung Ausdruck verliehen hatte (in Nr.35/31. Aug.1814, Sp.577-584, Nr.36/7.Sept.1814, Sp.593-603 und Nr.37/14.Sept.1814, Sp.611-619). Im Februar 1819, also nur einen Monat nach den Aufführungen der Jubelmesse veröffentlichte Hoffmann eine zusammengefaßte und überarbeitet Version dieser zwei Artikel im zweiten Band der "Serapionsbrüder". Der wesentliche Tenor dieser Publikationen bestand darin, der modernen "figurierten", d.h. orchesterbegleiteten Kirchenmusik trotz ihrer etwa bei Haydn, Mozart oder Beethoven unbestreitbaren künstlerischen Qualitäten ihre liturgische Tauglichkeit abzusprechen und im Gegenzug die "altklassisch polyphone" Kirchenmusik des Stile antico des 16. Jhs. als oberste Norm zu etablieren. Wenn also der König bemerkte, daß Webers Messe "etwas Beethovensches" enthalte, dann folgte er - möglicherweise auch nur gedankenlos - dieser Strömung. Daß er Weber damit zu nahe trat ist dabei eine andere Sache. Die erwähnte Strömung führte im weiteren Verlauf des 19. Jhs. in die Bewegung des Cäcilianismus. (S. hierzu auch weiter unten.)
Aufführungsbedingungen für Webers Kirchenmusik in Dresden
Dem jeweiligen Anlaß entsprechend sind beide Messen und Offertorien groß angelegt: Der vierstimmige Chor und das Solistenquartett werden von einem mit Holz- und Blechbläsern reich besetzten Orchester begleitet: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 4 Hörner, 2 Fagotte, 2 Trompeten, 2 Pauken, 2 Violinen, Viola, Cello und Bass für die Jubelmesse. Die Es-Dur-Messe (die Nr. 1) sieht bei ansonsten identischer Besetzung nur 2 Hörner vor, erfordert aber dafür eine 2. Bratsche. Die Offertorien folgen der Besetzung der jeweiligen Messe, wobei sie jedoch beide 2 Hörner benötigen. Diese große Besetzung machte im Hinblick auf den Aufführungsort, die Dresdener Hofkirche und deren bekannt problematischen Akustik eine besondere Kompositionstechnik erforderlich. Ein Korrespondent der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung schrieb am 26. August 1801 "Über den gegenwärtigen Zustand der Musik in Dresden" kurz und treffend:
"Die Kirche hat zu viel, und folglich falschen Wiederhall; und nur auf den Tribunen [...] hören Sie richtig."
Wegen der langen Nachhallzeiten in Chiaveris barockem Prachtbau St. Trinitatis verbot sich die Verwendung von raschen Passagen mit häufigen Tonartwechsel, da dies unvermeidlich zu einem wenig befriedigenden Klangcluster geführt hätte. Weber hat bei seinen regelmäßigen und häufigen Verpflichtung zur Leitung der Kirchenmusik diesen Effekt anlässlich der Aufführung von Messen anderer Komponisten ausgiebig studieren können. Tatsächlich kann man seinen Tagebuchaufzeichnungen und Briefen entnehmen, daß er in dieser Eigenschaft Werke Dresdener Komponisten bevorzugte, wie Johann Adolph Hasse, Johann Gottlieb Naumann, Joseph Schuster oder Franz Seydelmann, welche die akustischen Probleme der Hofkirche aus eigener Erfahrung kannten.
Weber umging diese Schwierigkeit, indem er die Melodie bei mäßigem Tempo weitgehend auf gebrochenen Dreiklängen aufbaute, so daß sich der Hall jeweils weitgehend harmonisch in das musikalische Gesamtgeschehen einfügte und nicht mehr störend in Erscheinung trat. Auf diese Weise bekamen die Kompositionen sozusagen nebenbei einen sehr feierlichen, majestätischen, großartigen und wuchtigen Charakter. Für den Chor bedeutet dies, daß die entsprechenden Stellen verhältnismäßig einfach sind, wenn auch die Anforderungen an die zu singende Höhe im Sopran nicht immer leicht zu meistern sind. Ausgeprägte Chromatik findet man erwartungsgemäß nur in langsamen Sätzen. Polyphon angelegte Chorsätze weisen keine ausgeprägt unabhängige Stimmführung auf, sondern der Kontrapunkt wird eher akkordisch umgedeutet. Hier wird der Einfluß von Webers Mentor Abbé Vogler deutlich: Auch wenn die Messen der beiden Komponisten keine direkten Parallelen aufweisen, stimmten beide wohl in der Einstellung zur Behandlung des Kontrapunktes überein, wie Webers Rezension der Bearbeitung von 12 Chorälen Bachs aus der Feder Vogels belegt (Zwölf Choräle von Sebastian Bach, umgearbeitet von Vogler, zergliedert von Carl Maria von Weber, veröffentlich in Max v. Webers Biographie, Bd. 3, S.10-19.): Er bemängelt darin mehrfach die "übelzusammentreffenden Durchgänge" bei Bach und kritisiert, "daß Bach oft, um den Gang einzelner Stimmen zu erhalten, die Harmonie opferte", auf der anderen Seite lobt er die Vermeidung "übelzusammenschlagenden Noten" und die "reine Harmonie" bei Vogler. Wohl unbeabsichtigt argumentiert E.T.A. Hoffmann in "Alte und neue Kirchenmusik" (Allgemeine musikalische Zeitung 1814, Nr.37/14.Sept.1814, Sp.617) in die gleiche Richtung:
"Überhaupt sind wol in der Kirche diejenigen Figuren die schicklichsten, die ohne dissonierende Noten blos den Grund-Accord durchlaufen, da sie der Kraft und Deutlichkeit des Gesanges am wenigsten Eintrag thun, vielmehr die Wirkung oft um vieles verstärken."
Auch wenn Weber (und Vogler) aus heutiger Sicht Bach nicht gerecht werden: Zur wirkungsvollen Komposition für die Dresdener Hofkirche war diese Auffassung zweifellos hilfreich. Über die rechte Art, für die Hofkirche zu schreiben, erteilte Weber seinem Freund Johann Gänsbacher, den er in Wien bei Abbé Vogler kennengelernt hatte, Ende 1818 folgende Ratschläge:
"Mache diesen schönen Plan ja wahr [Anm.: Gänsbacher hatte vor, Weber in Dresden zu besuchen und anlässlich dieses Besuches eigene Kompositionen mitzubringen], was wollen wir plaudern, schwelgen in Kunst, Freundschaft Vergangenheit und Gegenwart. der Plan mit der Meße für hier ist sehr gut. vor allem mache sie so kurz als möglich und vergiß nicht einige ausgeführte dankbare Sopran Solos für unsern trefflichen Castraten Sassaroli. du must ihm aber Freyheit laßen. auch sehr in breiten Maßen für unsere Kirche schreiben, da sie entsezlich wiederhallt, und alle schnellen Rükkungen sich verwirren, auch Trompeten und Pauken sehr sparsam angewendet sein wollen."
und nochmals ausführlicher am 26. Dezember 1822:
"[...] sondern eile dir nochmals Notizen über die Meße zu geben. [...] Sommer und Winter ist für deine Meße gleich gut. ich wünsche aber daß du sie eher sendest als du komst, damit der König schon etwas davon weis daß du auf der Welt bist. ich habe gestern Abend wieder mit meinem Cheff davon gesprochen. selbst aufführen kannst du sie nicht, daß ist gegen den Styl hier. [...] Was nun deine Arbeit selbst betrifft, so vergiß nicht daß unsre Kirche sehr groß ist, und ungebührlich schallt. kleine Figuren sind undeutlich, ein langer Vorschlag frißt die kurze Hauptnote. Cherubinische, Beethov: Musik z: B: die schnell modulirt, die Stimmen sehr verschränkt und schnell Harmonie wechselnd sind, würden bei uns einem Katzen Geheule gleichen. Große breite Figuren. alles in Maßen. aber auch wieder einzelne /: breite :/ Töne eines Blasinstrumentes wirken sehr. die Sänger sind Italiener, also nie recht fest. daher alles so sangbar als möglich. der Altist ist ein Hund. Sopran vortrefflich im großartigen Gesang. Athem wie ein Pferd. vergiß nicht ihn ein NB oder NB ad. libit. aushalten zu laßen. Von NB bis NB bewegt er sich am besten. tüchtige Fugen sind wir gewohnt, also genire dich nicht. die Kapelle muß auch Respekt vor dir bekommen. ein Offertorium schikke mit. da sich aber da die Texte nach dem betreffenden Sonntag richten, so stehe ich nicht dafür, daß es gemacht wird. nach dem Gloria haben wir einen kurzen Simphonie Saz. und keine Motette."
(Tatsächlich schickte Gänsbacher eine entsprechende Messe nach Dresden, die Webers vollen Beifall fand. Nach dem Weggang des Dresdener Konzertmeisters Giovanni Battista Polledro, der eine Stelle als Hofkapellmeister in Turin antrat, wurde Gänsbacher auf Vorschlag Webers am 29. November 1823 auf die die freie Stelle berufen. Weber legte bei seiner Vermittlung auch besagte Messe vor. Gänsbacher trat den Dienst in Dresden jedoch nicht an, da er sich mittlerweile um das Amt als Domkapellmeister an St. Stephan in Wien beworben hatte.)
Bravourstücke der besonderen Art in Webers Messen sind tatsächlich die virtuosen Partien für Solo-Sopran, die dem seinerzeit in Dresden umjubelten Hofsänger und Kastraten Filippo Giovanni Sassaroli auf den Leib geschrieben wurden. Auswärtigen Besuchern der Hofkirche, wie dem dänischen Dichter Per Daniel Atterbom schien Sassarolis Stimme "die eines Engels" zu sein.
Webers Messen und der Freischütz
Es wird regelmäßig auf die Nähe der Dresdener Messen zu Webers heute vermutlich bekanntestem Werk hingewiesen, dem "Freischütz", der in den Jahren nach den Messen entstand, und dessen erste Skizzen in das Jahr 1817 zurückreichen, also in die Entstehungszeit der beiden Messen. Tatsächlich lassen sich punktuelle Ähnlichkeit z.B. im Anfang des Sopransolos im Benediktus der Jubelmesse mit der Arie "Wie nahte mir der Schlummer" der Agathe im Freischütz sowie in verschiedenen isolierten Stellen der Orchesterbegleitung nicht von der Hand weisen. Auch die häufig auf gebrochenen Dreiklängen aufbauende Melodie mit relativ einfacher Harmonik kommt sowohl in den Kirchenkompositionen, wie auch im Freischütz vor. Beides hat jedoch weniger stilistische, als eher funktionale Gründe, die dazu auch noch völlig unterschiedlich sind. Im Freischütz beruht dies auf der Vermittlung einer "Wald- und Jagdstimmung", welche traditionell eben durch die Beschränkung auf die Naturtöne der Hörner herbeigeführt wird. In den Werken für die Hofkirche liegt dagegen der Grund, wie bereits erwähnt, in der kreativen Einbeziehung des Nachhalls. Es sei ausdrücklich dahingestellt, ob der Freischütz oder die beiden Messen und Offertorien stilistisch originärer sind. Diese Frage ist nämlich müßig: Hier wird lediglich ein bekanntes einem unbekannten Werk aus der selben Schaffensperiode eines Künstlers gegenübergestellt, was zu der Feststellung führt, daß das unbekannte Werk dem bekannten ähnelt. Es ist aber an sich trivial, daß sich zwei Werke aus der selben Schaffensperiode eines Künstlers ähneln: Niemand käme etwa auf die Idee, die Ähnlichkeit von Beethovens Sechster Sinfonie mit seinem Violinkonzert zu betonen. Vollends abstrus ist unter diesem Gesichtspunkt die gelegentlich anzutreffende Bezeichnung "Freischütz-Messe" für die Es-Dur-Messe: immerhin war dieses Werk zu einem Zeitpunkt vollendet, zu dem die Arbeiten am Freischütz gerade erst begonnen hatten und sich noch über drei Jahre hinziehen sollten.
Die Verbreitung
Da beide Messen Widmungskompositionen waren - Widmungsträger der Es-Dur-Messe op. 75 war der König, die G-Dur-Messe op. 76 war der Königin gewidmet - und als solche nur mit Ausnahmegenehmigung außerhalb Sachsens aufgeführt werden durften, war ihre Verbreitung von Anfang an nur sehr begrenzt. Weber betont in zahlreichen Briefen immer wieder, wie eifersüchtig in Dresden über die dortigen Kompositionen gewacht wurde. Ausserhalb Dresdens, wo beide Messen noch mehrfach aufgeführt wurden, fand nur noch eine Aufführung der Es-Dur-Messe im Sommer 1820 anlässlich des 200-jährigen Bestehens des Ordens der Barmherzigen Brüder in Prag statt. Carl Graf von Brühl plante im Sommer 1818 ebenfalls eine Aufführung der Es-Dur-Messe in der Berliner Garnisonskirche, zu der er bereits die Partitur und die königliche Genehmigung erhalten hatte, die jedoch nicht zustande kam. Auch der Herausgeber der Allgemeinen musikalischen Zeitung, Friedrich Rochlitz plante in Leipzig eine Aufführung. Ein Exemplar der Partitur hatte er von Weber erhalten. Zumindest erfolgte am 8. Februar 1819 in der dortigen Universitätskirche eine konzertante Aufführung des Offertoriums zur Jubelmesse "In die solemnitatis". Das Sopransolo sang hierbei Filippo Sassaroli. Und in Halle scheint es ein "illegale" Aufführung der 1. Messe gegeben zu haben, wie man einem Brief Webers an Graf Brühl vom 6. Dezember 1819 entnehmen kann. Ansonsten erhielt lediglich noch der Papst Pius VII. ein Widmungsexemplar der Es-Dur-Messe.
Erst Jahre nach dem Tode des Königspaares (und Webers!) erschienen beide Messen im Druck: Die Jubelmesse in G-Dur 1834 bei Haslinger in Wien (als Missa Sancta Nr. 1, obwohl es die zweite Messe war!), die Es-Dur-Messe sogar erst 1844 - ebenfalls bei Haslinger. In Benediktbeuern wurde die G-Dur-Messe allerdings bereits 1844 aufgeführt: An der Anfertigung des umfangreichen Stimmenmaterials waren seinerzeit fünf Kopisten beteiligt (ms. D-BB/303, heute Diözesanarchiv Augsburg). In neuerer Zeit wurde die Messe hier erst wieder Ostern 2007 aufgeführt.
Webers Kirchenmusik und die Kirchenmusikreform des 19. Jhs.
Es ist fast müßig, zu erwähnen, daß die kirchenmusikalischen Werke Webers wegen ihrer vorgeblichen Nähe zur säkularen orchestralen Musik ihrer Zeit von den Vertretern der kirchenmusikalischen Reformbewegung des Cäcilianismus auf das Schärfste bekämpft wurden. (Die in diesem Zusammenhang oft gebrauchte einseitige Betonung einer "Opernnähe" greift bereits bei nur oberflächlicher Betrachtung zu kurz und beruht auf der traditionellen Ablehnung gerade dieser Musikgattung durch kirchliche Kreise seit dem 17. Jahrhundert.) Die Kritik an dieser Art von "figurierter" (orchesterbegleiteter) Kirchenmusik hatte einen starken Rückhalt in den intellektuellen Eliten der Zeit. E.T.A. Hoffmans Argumentation in "Alte und neue Kirchenmusik" in "Die Serapionsbrüder" (Kapitel 38) illustriert auf schöne, wenn auch im Vergleich zu anderen Autoren durchaus gemäßigte Weise die dem Cäcilianismus zugrundeliegende Sichtweise. (S. auch den Kommentar zur Reaktion des Königs auf die Jubelmesse weiter oben) Nichtsdestoweniger entstanden beide Messen aus einem tiefen religiösen Gefühl heraus, wie alle diesbezüglichen Äußerungen Webers belegen, aus denen hier stellvertretend zwei Zitate wiedergegeben sein sollen::
"Habe ich mich in der ersten [Anm.: der Es-Dur-Messe] ganz meiner Ueberzeugung und dem tiefen Gefühl der Größe des Gegenstandes hingegeben, so will ich jezt mir eine froh und fröhlich kindlich bittend und jubelnd zum Herrn betende Schaar denken."
(Brief an Rochlitz, 16.Okt.1818)
"Man liebt zwar das sehr galante hier bey Hofe, daran wirst du dich aber so wenig wie ich kehren, in so fern es unwürdig dem erhabenen Orte und Worte würde, und das Herz giebt ja auch von selbst Lieblichkeit."
(Brief an Gänsbacher, 24.Dez.1818)
Weber, der wie Bruckner tiefkatholisch war, war sich der "Erhabenheit des Ortes und des Wortes" absolut bewußt. Die Ablehnung durch die Anhänger des Cäcilianismus, der vorherrschenden Richtung in der Kirchenmusik seit dem zweiten Drittel des 19. bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, in Zusammenhang mit der bereits vorher ohnehin nicht großen Verbreitung hat dazu geführt, dass Webers kirchenmusikalisches Schaffen bis heute in völlig ungerechtfertigter Weise nur wenig bekannt ist - im Gegensatz zu seinem Opernschaffen, das insbesondere durch Richard Wagner eine nachhaltig Promotion erfuhr. Seine Dresdener Messen sind jedoch unbestreitbar Höhepunkte der orchesterbegleiteten katholischen Kirchenmusik des frühen 19. Jahrhunderts.