Franz Gleissner
ein bayerischer Musiker und die Erfindung des Steindruckes
Als Komponist ist der aus der Oberpfalz stammende Münchener Hofmusiker Franz Gleissner (1761 - 1818) trotz seines relativ umfangreichen Werkes so gut wie unbekannt. Nichtsdestoweniger hat er Kulturgeschichte mitgeschrieben, wenn auch auf einem völlig anderen Gebiet. Diesem Umstand ist wohl zu verdanken, daß sein Name heute nicht gänzlich vergessen ist.
Felix Joseph Lipowskys Baierisches Musik-Lexikon aus dem Jahr 1811 berichtet über ihn (Anmerkungen in eckigen Klammern):
Gleißner, (Franz), war 1760 [Anm.: Da irrt Lipowsky: Gleissner wurde am 4. April 1761 geboren.] zu Neustadt an der Waldnab (jetzt im Mainkreise) geboren. Schon frühezeitig war er in?s Seminar nach Amberg [in das Churfürstliche Jesuiten-Gymnasium] geschickt, wo er eine ausserordentliche Neigung zur Musik und Dichtkunst zeigte, und in beiden als ein seltnes gutes Talent sich bewies. Da er auf dem Musikchor den Contrebaß spielte, und überdieß ein guter Sänger war, so studirte er ganz leicht den Generalbaß. Seine erste Komposition war eine Seelenmesse (Requiem) die er auf die Exequien des Churfürstens Max Joseph 1778 verfertigte, ein Werk, das Gründlichkeit, und großen, der Sache angemessenen Geist verrieth. Einige Jahre darauf gieng er nach München, um allda seine philosophischen Studien zu vollenden.
Das Seminar das er in München besuchte, war das kurfürstliche Gymnasium, das "Gregorianum", das 1574 von Herzog Albrecht V. zunächst als Jesuitenkolleg gegründet wurde und nach der Aufhebung dieses Ordens 1773 zunächst von Exjesuiten, ab 1781 von den Augustinern und ab 1794 von Benediktinern weitergeführt wurde. Das Ziel dieser Einrichtung war eine schichtenneutrale Eliteförderung, die auch begabten Knaben aus bescheidenen Verhältnissen Zugang zu höherer Bildung ermöglichte. Das Gregorianum überstand auch die Säkularisation 1802/1803, wurde als "Königlichen Erziehungsinstitut für Studierende" weitergeführt und besteht als "Studienseminar Albertinum" bis heute. Lipowsky berichtet weiter:
Im Seminar daselbst bildete sich sein Geist bis zur Reife: Die Menge der guten Sänger und Tonkünstler, die dasselbe enthielten [so waren z.B. auch Rochus Dedler oder Kaspar Aiblinger Schüler der Gregorianums], reitzten ihn eine Menge Tonstücke von allen Gattungen zu verfertigen, die dort Epoche machten, und die noch jetzt, nach dreißig Jahren, bei allen Orchestern gefallen. Er komponirte viele heroische Ballete: Musiken und Singspiele, unter welchen besonders: Agnes Bernauerin so wohl gefiel, daß sie in München von der Schauspieler-Gesellschaft des v. Morotz 22 Mal bei vollem Hause nacheinander gegeben wurde.
Gegeben wurde diese deutsche Oper, die Lipowsky daher in der Sprache der Zeit als "Singspiel" bezeichnet, im Salvatorplatz-Theater, dem "alten" Hoftheater in München. Nachdem seit 1753 das von François Cuvilliés erbaute "neue Hoftheater" zur Verfügung stand, wurde das Salvatotplatztheater 1795 abgerissen. Als weitere Opern Gleissners wurden dort Die Werbe im Dorfe (1794) und Der Pachtbrief (1795) aufgeführt. Beide Werke gelten heute wie fast alle Bühnenwerke Gleissners als verschollen. Lipowsky:
Auch schrieb er die Musik zum Ballet: Paul und Virgine für das Hoftheater, eine Musik, die noch daselbst aufgeführt wird, und sehr gefällt. Zwei Werke, deren jedes sechs Messen enthält, kamen bei Lotter und Sohn in Augsburg heraus, und wurden im katholischen Deutschland schnell verbreitet, denn des Verfassers Stil war angenehm, gründlich, abwechselnd und leicht. Sein beßtes Werk, das neben einem Haydn und Mozart stehen kann, ist eine Simphonie aus C dur, die in München herauskam, und in der Leipziger musikalischen Zeitung als ein Kunstwerk gewürdiget wurde. Es war das erste Werk, das auf Stein gestochen ist, welche Erfindung ihm allein ihre Existenz und gegenwärtige Ausbildung durch sein ganzes hingeopfertes Vermögen und thätige Mitwirkung zu verdanken hat. Er stand lange als Hofmusiker bei der Königl. Kapelle in München, machte einige Reisen nach Offenbach und Wien, um die Verbreitung der Steindruckerei zu befördern, und befindet sich gegenwärtig bei der Königl. unmittelbaren Steuer-Vermessungs-Commißion als Inspektor über die Druckerei. Dieses guten Tonkünstlers Kompositionen sind sehr zahlreich, und bestehen größtentheils in solemnen Messen, Vespern, Litaneien, Quartetten, Serenaden und Simphonien, die überall den verdienten großen Beifall erhielten und noch erhalten.
Während seiner Militärzeit von 1784-1789 war er offenbar Kapellmeister im Regiment Prinz Max [von Zweibrücken], Im Anschluß daran (seit 1791) "Accessist" als Violonist am der Hofkapelle in München (d.h. ohne Bezahlung), ab 1795 dann mit fester Anstellung und einer Besoldung von 300 Gulden jährlich.
Was bei Lipowsky gerade so nebenbei am Rande erwähnt wird, hatte in Wirklichkeit gravierende Auswirkungen auf die Verbreitung von gedruckten Noten bis zur Erfindung des Photosatzes: Die Lithographie oder auch Steindruck. Etwas genauer als Lipowsky führt das das von Julius Schladebach und Eduard Bernsdorf im ab 1856 in Dresden herausgegebene Nachschlagewerk mit dem Titel "Neues Universal-Lexikon der Tonkunst: für Künstler, Kunstfreunde und alle Gebildeten" aus:
Besonders aber ist er als Derjenige zu nennen, welcher durch die Sennefelder?sche Erfindung der Lithographie auf die Idee gebracht wurde, auch Noten auf Stein zu graviren und sie dann abzudrucken. Er verband sich mit dem Musikhändler Falter in München, der die Pressen beschaffte, und gab bei ihm als erstes Erzeugniß der Notenlithographie im J. 1798 ein Heft Lieder mit Klavierbegleitung heraus. 1799 folgte er auch André nach Offenbach und richtete diesem eine Noten-Steindruckerei ein, so wie er auch im Interesse seiner Erfindung mehrere Reisen nach Wien machte.
Ende des 18. Jahrhunderts hatte Kurfürst Karl Theodor von Bayern angeordnet, daß alle Studenten der Universität Ingolstadt ungeachtet ihrer Fakultät das Fach Chemie wegen seiner ökonomischen Bedeutung als Pflichtfach zu belegen hätten. So kam auch ein Student der Rechts- und Kameralwissenschaften namens Alois Senefelder zu einer chemischen Grundausbildung. Allerdings zog es ihn zunächst als Dichter und Schauspieler zum Theater, und so schloß er sich der fahrenden Theatertruppe Franz Anton. v. Webers an, des Vaters des späteren Komponisten Karl Maria v. Weber und Onkels von Konstanze Mozart. Dieser führte zur Anfertigung von Handzetteln und Eintrittskarten eine kleine Druckerei mit sich, in der Senefelder seine ersten graphischen Kenntnisse erwarb. Leider fand sich für dessen dramatische Ergüsse kein Verleger, und so beschloß er, sie selbst herauszugeben. Auf der Suche nach einem zu diesem Zweck dienlichen billigen und einfachen Druckverfahren entwickelte er den Steindruck, die Lithographie, wobei ihm seine in Ingolstadt erworbenen Chemiekenntnisse außerordentlich zustatten kamen. Um aber seine kostspieligen Steindruckversuche finanzieren zu können, machte er sich auf die Suche nach geldbringenden Anwendungen für seine Erfindung, wobei ihm schließlich die Idee kam, Noten damit zu drucken: "Ein Stückchen äußerst schlecht gedruckter Musiknoten aus einem alten Gesangbuch weckten sogleich die Idee, dass ich mit meiner neuen Druckart auch Musikalien weit schöner als bleierne Lettern liefern könnte." schreibt er in seinem 1818 erschienenen vollständigem "Lehrbuch der Steindruckerey". Wesentlich schöner als mit Bleilettern ließen sich auch damals bereits Notenblätter mit Kupfer- oder Stahlstich vervielfältigen, einer Methode, die allerdings trotz vieler Innovationen zu einer rationellen Druckplattenherstellung nicht nur umständlich, sondern auch und vor allem teuer war. Senefelder fehlte nur ein Komponist, der sich auf das Wagnis seines neuen, billigen Notendruckverfahrens einließ. Den fand er schließlich 1796 in München in seinem Freund Franz Gleissner, bei dem er wohnen konnte und der ihn finanziell bis zur Selbstaufgabe unterstützte. Gleissners "Feldmarsch der churpfalzbairischen Truppen für acht Kreuzer" - der konkurrenzlos günstige Preis ist tatsächlich im Titel erhalten - wurde noch im selben Jahr 1796 die erste kommerziell vertriebene Lithographie (nicht 1798, wie Schladebach und Bernsdorf schreiben, und es ist auch nicht die C-Dur-Sinfonie von 1800, die Lipowsky erwähnt), die zusammen mit fünf weiteren Musikdrucken aus derselben Feder bei dem Münchener Musikalienverleger Macarius Falter erschien. Die Herstellung erfolgte in der Firma Gleißner & Senefelder in München.
Über diese Druckerei kamen Senefelder und Gleissner 1799 in Kontakt mit dem Offenbacher Musikverleger Johann Anton André, der Rechte an der neuen Vervielfältigungstechnik erwarb und beide veranlaßte, nach Offenbach umzuziehen. Dort arbeitete Gleissner für André und fertigte u.a. ein thematisches Verzeichnis der Werke Mozarts an, zumindest derjenigen, die in Mozarts Nachlaß enthalten waren, der seinerseits von André erworben worden war. Dieses "Gleissner-Verzeichnis" war die Grundlage des späteren André-Verzeichnisses und dieses wiederum die Basis des Köchel-Verzeichnisses. Bemerkenswert an diesem Verzeichnis aus dem Jahr 1800 ist, daß es unter der Nr. 24 die Missa Brevis in G KV 140 mit Incipit (den ersten Takten) aufführt. Dieser Eintrag ist einer der vielen Puzzleteile, mit denen in der Neuen Mozartausgabe und der darin zitierten Literatur die Echtheit der oft bezweifelten Urheberschaft Mozarts belegt wurde.
1803 gingen Gleissner und Senefelder nach Wien und gründeten dort die "k.k. privilegierte chemische Druckerey", die wiederum als erstes Kompositionen Gleissners druckte. Diese Abwesenheiten von München führten schließlich zu Konsequenzen bei der Hofmusikintendanz: Es erfolgte die Dienstentlassung "des wegen seiner Steindruckerei im Auslande sich befindlichen Hofmusikers". Nachdem die Wiener Niederlassung an S.A. Steiner verkauft wurde, dem Gleisser noch eine Weile als Mitarbeiter zur Verfügung stand, kehrte er schließlich 1806 nach München zurück. Dort eröffnete er zusammen mit Senefelder wiederum eine Lithographieanstalt, die Königliche alleinprivilegirte Steindruckerey von Aloys Senefelder, Franz Gleißner & Comp. in München. Später bekleidete er das Amt eines Inspektors der Königlichen unmittelbare Steuer-Vermessungs-Commission. Im November 1816 und im Januar 1817 erlitt er Schlaganfälle, die ihn völlig hilflos machten. Am 28. September 1818 verschied er an den Folgen eines weiteren Schlaganfalls.
Der Kirchenchor Benediktbeuern hat von Franz Gleissner mehrere Messteile aufgeführt. Im Handschriftensammlung des Kirchenchores aus dem 19. Jh. (heute Diözesanarchiv Augsburg) befinden sich Abschriften von acht Kompositionen Gleissners:
- Ein Lauretanische Litanei in C-Dur für Chor und Orchester(Lytaniae [lauretanae] Solennes [in honorem BMV et Tantum ergo] in C a 4 Vocibus, 2 Violin, Viola di alto, 3 Clarini in C, Tympani, Organo e Violone. Authore Gleissner), ms D-BB 153. Die Kopie aus dem Jahre 1820 wurde von dem damaligen Benediktbeuerer Pfarrer Floridus Hottner angefertigt, der sich selbst als Musiker hervogetan hatte und für die Kirchenmusikpflege am Ort entscheidende Impulse setzte. Mehr hierzu im Artikel über die Kirchenmusik in Benediktbeuern im 19. Jh.. Zusammen mit dieser Komposition ist auch ein
- Tantum ergo in C-Dur für Chor und Orchester gebunden. Von beiden Werken ist eine Aufführung an Fronleichnam 1857 und 1859 in Benediktbeuern belegt
- Eine Vesper in C-Dur für Chor und Orchester (Vesperae de Beata a 4 Vocibus, 2 Violinis, Alto Viola, 2 Clarinis C, Tympanis in C, Organo. Auth. Gleißner.), ms D-BB 156, Kopie aus dem Jahr 1821 von Floridus Hottner und dem Lehrer und Chorleiter Alois Rockinger. 10 Aufführungen in Benediktbeuern belegt zwischen dem 8. September (Mariä Geburt) 1832 und den 15. August (Mariä Himmelfahrt) 1869
- Ein Salve Regina für Sopran, Bass, Orchester und Orgel, Abschrift 1810, ms D-BB 157. Zusammen gebunden mit einer
- Vesper in D-Dur für Chor und Orchester (Vesperae de Dominica in D con Salve Regina a 4 Voci, 2 Violini, Alto Viola obl., 2 Clarin, Tympani in D, Organo e Violone. Auth. Gleissner), 1810. Für beide Werke sind Aufführungen belegt am "Hl. Abend 1814", "Allerheiligentag 1857", "sehr gut 1858" und "Kirchweih 1859". Ob die Aufführung 1814 in Benediktbeuern stattfand, ist fraglich, da sowohl die Provenienz des Konvolutes unbekannt ist als auch das Datum, zu dem es in den Besitz des Benediktbeurer Kirchenchores gelangte.
- Ein Offertorium Summae Deus clementiae in B-Dur für Chor und Orchester (Offertorium a 4 Vocibus, 2 Violinis, 2 Cornibus, Alto Viola et Organo. Authore Gleißner), Alternativer Titel: Vom reinsten Dankgefühl erfüllt, Kopist Alois Rockinger, 1821, ms D-BB 155.
- Ein Sub tuum praesidium in D-Dur für Chor und Orchester (Offertorium de Beata di Gleißner), Kopist Floridus Hottner, 1820, ms D-BB 154.
- Ein Offertorium Caeli enarrant gloriam Dei in C-Dur für Chor und Orchester (Sinfonia et Offertorium. Gleißner), Kopisten Floridus Hotner und Alois Rockinger, 1820, ms D-BB- 152.
Offenbar erfreuten sich die kirchenmusikalische Werke Gleissners bis zur Mitte des 19. Jhs. großer Beliebtheit, nicht nur in Benediktbeuern, sondern auch andernorts, vor allem in den katholischen Gebieten Süddeutschland und Österreich (inkl. der damals zu Österreich gehörigen ostmitteleuropäischen Ländern). Dies wird durch die zahlreich erhaltenen Abschriften belegen, die zusätzlich zu den Drucken angefertigt wurden und heute die weite Verbreitung der kirchenmusikalischen Kompositionen Gleissners belegen. Dieses Werk a priori als "künstlerisch unbedeutend" zu werten, wie dies z.B. in der ersten Auflage der Enzyklopädie "Musik in Geschichte und Gegenwart" 1956 geschehen ist, ist die Folge einer bis in die Mitte des 20. Jhs herrschenden Einstellung, unbekannte "Kleinmeister" ohne nähere Prüfung als unbedeutend einzustufen. Dies ist im vorliegenden Fall insofern unberechtigt, da die Werke Gleissners, sofern sie nicht ohnehin als verschollen gelten, bis heute nicht ansatzweise musikalisch erschlossen sind.