Franz Xaver Schnizer (1740-1785)
Musik aus Ottobeueren
Franz Xaver Schnizer (oder Schnitzer) wurde am 13. Dezember 1740 in Bad Wurzach geboren. Bereits in jungen Jahren trat er als Chorknabe in das etwa 30 km östlich gelegene Benediktinerstift Ottobeuren ein, wo er seine musikalische Ausbildung bei dem aus Wangen im Allgäu stammenden Komponisten Pater Placidus Christadler (1709 - 1767) erhielt. Als weiteren Lehrer hatte er den als Organist und Komponist tätigen Benedikt Kraus (ca. 1725 - 1810), der vor seiner Ottobeuerer Zeit u.a. Kapellmeister in Triest war und von dort her am italienischen Musikstil geschult war. Mit 19 Jahren - 1760 - legte Schnizer das Ordensgelübde ab und 1766 wurde er zum Priester geweiht. Im gleichen Jahr wurde er auch mit dem Amt des Organisten in Ottobeuren betraut. Neben seinen Aufgaben als Kleriker war er bis zu seinem Tod im Jahr 1785 auch als Instructor Musices und als Chorregent tätig. Das Jahr 1766 war auch für das Kloster selbst bedeutsam: Es war das der Fertigstellung der neuen Klosterkirche durch Johann Michael Fischer und der Weihe der von Karl Joseph Riepp gebauten Chororgeln. Zu diesem Anlaß spielte Schnizer die Dreifaltigkeitsorgel, während Benedikt Kraus auf der etwas kleineren Heilig-Geist-Orgel musizierte.
Schnizers Schaffensperiode fällt in die Blütezeit des Ottobeurer Musiklebens, die etwa von der Mitte des 18. Jh. bis zur Säkularisation 1803 andauerte. Diese Epoche wurde entscheidend geprägt durch Honorat Göhl, der seit 1767 als Abt des Klosters amtierte. Göhl förderte die Kirchenmusik nachhaltig, und zwar sowohl, was die Ausübung des Choralgesanges und der Vokalpolyphonie im "stile antico" Palestrinas betraf, als auch die moderne zeitgenössische sakrale Musik, die auf neapolitanische, venezianische und oberitalienische Vorbilder zurückzuführen war. 1816 veröffentlichte Maurus Feyerabend Des ehemaligen Reichsstiftes Ottobeuren Benediktiner Ordens in Schwaben Sämmtliche Jahrbücher. Im Band IV dieser Reihe steht darin über die Musik der Ära Göhl:
"[...] denn das herrliche Gotteshaus in seiner Lichtfülle und Farbenpracht, mit seinen musizierenden Engelein, forderte gebieterisch neben den ernsten strengen Weisen des Chorals eine freiere, frohere, beschwingtere Musikart."
Zu diesem Zweck wurde eine Scola Cantorum aus etwa 30 Sängerknaben unterhalten, die von sechs Patres täglich Musikunterricht erhielten. Zwei davon unterwiesen die Eleven in Gesang, und je zwei im Klavier- und Violinspiel. Außerdem wurden Novizen und Kleriker an der Orgel instruiert, und Kenntnisse im Choralgesang waren für alle Ordensmitglieder obligat. Schnizer ist ein Beispiel für die zahllosen heute vergessenen Komponisten, die in den Klöstern für deren musikalischen Eigenbedarf tätig waren. Die Qualität der dort entstandenen Werke bewegt sich z.T. durchaus auf hohem und höchsten Niveau und braucht den Vergleich mit den bekannten Werken der "großen" Komponisten keineswegs zu scheuen. Leider lag es in der Natur der klösterlichen Musikpraxis, daß die Kompositionen allenfalls regionale Verbreitung fanden. Sie wurden meist - wenn überhaupt - nur durch Abschriften von Kloster zu Kloster weitergegeben. Eine finanzielle Notwendigkeit, sie zu veröffentlichen, bestand für die aus dem Klerikerstand stammenden Autoren nicht, denn anders als die säkularen Musiker (auch diejenigen, die in Kirchendiensten standen) hatten es jene nicht nötig, sich aus Gründen der wirtschaftlichen Absicherung "einen Namen" zu machen. Genaugenommen war das sogar unerwünscht, denn in der Regel des Heiligen Benedikt steht ausdrücklich über Mönche mit besonderen Fähigkeiten: "Wird aber einer von ihnen überheblich, weil er sich auf sein berufliches Können etwas einbildet und meint, er bringe dem Kloster etwas ein, werde ihm seine Arbeit genommen. [...]". Mit der Säkularisation ging auf diese Weise das meiste unwiederbringlich verloren. Die Musikalien der Klöster wurden als wirtschaftlich wertlos erachtet und verblieben in der Regel an Ort und Stelle, wo sie im Verlauf der folgenden Jahre meist als Altpapier verwertet wurden. Nur das wenige, das in entsprechende Bibliotheken gelangte, entging der Vernichtung. Man schätzt, das diese Reste nur höchstens zehn Prozent der ursprünglichen Bestände darstellen. Bibliotheken sind jedoch in der Regel nur Orte der Forschung, nicht aber der ausübenden Musikpraxis, die Kompositionen und ihre Schöpfer gerieten so zum größten Teil in Vergessenheit. Darüber hinaus wurde durch die Schließung der Klöster auch das dortige Musikleben abrupt beendet, wodurch es zum Verlust des Wissens über die ursprünglich dort vorhandenen Werke kam. Die Kontinuität in der Aufführungspraxis war nun unterbrochen, beim schwierigen Neubeginn kirchlichen Musizierens, besonders in ländlichen Gebieten, mußte man daher auf leicht verfügbares Notenmaterial zurückgreifen. Das waren am Anfang des 19. Jh. meist Werke mindestens regional bekannter zeitgenössischer Autoren (s. hierzu auch Geschichte der Benediktbeurer Kirchenmusik im 19. Jahrhundert)
Trotz aller Widrigkeiten hat sich jedoch gelegentlich ein schmaler Rest aufführbaren Notenmaterials im lokalen Umfeld der ursprünglichen Entstehungsstätte erhalten, meist im Musikalienbestand benachbarter Pfarrkirchen und zumeist in späteren Abschriften. Doch auch hier wurde dieses Erbe nicht immer bewahrt. Durch die als Cäcilianismus bekannten Reformbestrebungen des 19. Jh. wurde die Kirchenmusik des 18. Jh., vor allem die orchesterbegleitete, als für die Liturgie unangemessen angesehen, wodurch oft auch die letzten Relikte klösterlicher Kompositionen aus dieser Zeit nicht mehr aufgeführt wurden und der Vergessenheit anheim fielen. Ein Musikverständnis, das glaubte, trotz Unkenntnis auf die Werke vorgeblicher "Kleinmeister" verzichten zu können, tat dann ein übriges. Durch Unwissenheit, Schlamperei und Ignoranz wurden sogar noch in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg entsprechende Bestände makuliert oder gingen durch ungeeignete Lagerung auf Dachböden oder feuchte Keller verloren.
Die Missa in C von Franz Xaver Schnizer ist ein Werk, das die Stürme der Zeit im Dornröschendasein überstanden hat. In der Bibliothek der 1834 auf Edikt König Ludwig I. zunächst als Priorat wiederhergestellten Benediktinerabtei Ottobeuren haben sich sechs Hefte mit Stimmen erhalten, die von einem unbekannten Kopisten etwa um 1770 ausgeschrieben wurden. Das Titelblatt trägt die Aufschrift "Kyrie, Gloria & Credo / Authore / R.P. Francisco Schnizer: / C-Dur". Mit fremder Schrift wurde ergänzt: "(auch Sanctus, Benedictus und Agnus Dei vorhanden)" . Dieses Konvolut ist die einzige bekannte Quelle der Messe. Sie ist für vier Singstimmen, Orgel und Violone (als Continuobaß) ausgesetzt, Solopartien in den Gesangsstimmen fehlen. Allerdings bieten sich manche Stellen zur solistischen Ausführung an, man kann daher vermuten, daß die Verwendung von Solisten in Anlehnung an andere Messen Schnizers "al gusto" durch den Chorregenten erfolgte. Die Instrumentierung mit Orgel und Bass ohne weitere Instrumente, wie z.B. Violine oder Viola ist eher ungewöhnlich. Die obligate Orgelstimme, die zahlreiche solistische Einschübe aufweist, ist mit zwei Notenlinien und beziffertem Basso Continuo ausgesetzt, und die mit Violone überschriebene Bass-Stimme findet sich mit wenigen Ausnahmen völlig notengetreu in der unteren ausgeführten Orgelstimme wieder. Beide begleiten den Vokalbaß in der Regel colla parte, d.h. auch die Vokalbaß-Stimme ist identisch zu den Begleitstimmen. Die Notation der Orgel mit nur zwei Linien war im 18 Jh. in Süddeutschland weit verbreitet. Diese Schreibweise erlaubte auch eine Ausführung auf einem Positiv ohne Pedal bzw. mit Cembalo oder Klavier, die letzteren waren in der katholischen Kirche allerdings nicht nur ungebräuchlich, sondern auch unerwünscht.
Im Druck erschien das Werk erstmals 200 Jahre nach Schnizers Tod im Jahr 1985 im Carus-Verlag (40.649/01), Herausgeber ist der ehemalige Münchener Domorganist Franz Lehrndorfer. Es existiert auch eine Einspielung mit dem Tölzer Knabenchor.
Neben dieser Messe in C haben sich von Schnizer noch eine Reihe von anderen Kompositionen erhalten, von denen einige in den letzten Jahren neu verlegt wurden. Die meisten tragen eine ausführliche Widmung an Abt Honorat Göhl. Noch zu seinen Lebzeiten wurden die "Sei Sonate per il Cembalo ed Organo" veröffentlicht. Schnizers vielseitiger Mitbruder Ulrich Schiegg - er hatte z.B. 1784 in Ottobeuren den ersten Start eines (unbemannten) Heißluftballons in Deutschland durchgeführt und 1804 zusammen mit Utzschneider und Reichenbach in München das Mathematisch-mechanische Institut gegründet, in dem später auch Joseph Fraunhofer arbeiten sollte - ließ die Sonaten 1773 in Kupfer stechen. Als "Opera I.ma" (opera prima, op. 1) erschienen sie 1784 bei Matthäus Rieger in Augsburg. Auch hiervon ist eine Neuausgabe erschienen. Als weitere, heute wieder verfügbare Werke Schnizers sind zu nennen:
- Ave maris stella, für Altsolo, zwei Violinen, Viola, Violoncello und Orgel (Butz, Sankt Augustin, 1996)
- Laudate Dominum omnes gentes, für Chor (SATB) und Orgel (Butz, Sankt Augustin, 1996)
- Alma redemptoris mater, per choro (SATB), corno obligato, 2 violini ed organo con Violone (Carus,1998)
- Juga et plana. Graduale pro SS. Nocte Nativitatis D. N. Jesu Christi, á 4 vocibus, 2 violinis, viola, cornu, organo con violone (Carus, 1998)
Weitere Kompositionen harren dagegen noch der Wiedererweckung aus den Archiven. Das internationale Quellenlexikon zur Musik zählt insgesamt 45 Musikhandschriften mit Werken Schnizers auf, darunter noch 5 unveröffentlichte Messen, ein Requiem, zwei Vespern, ein Te deum, ein Regina coeli und ein Magnifikat. Von sieben seiner Werke existieren auch Abschriften im Bestand der Pfarrei Benediktbeuern:
- Das Kyrie einer Missa in Contrapuncto Fer[ia] V. in Coena D[omi]ni a 4 Voci
- eine Missa in Sabbatho Sancto (Gloria, Laudate Dominum, Sanctus und Benedictus)
- ein Magnifikat in F
- und 4 Antiphonae in Festo Corporis Christi in Processione
- O quam suavis est in C-Dur
- O sacrum convivium in F-Dur
- Hostia sancta in B-Dur und
- Caro mea vere in a-mol)
Schnizer hat auch eine Anzahl dramatischer Werke vertont. Daß er auch über das nähere Umfeld Ottobeurens hinaus bekannt war, zeigt das Trauerspiel Sigismund der heilig König und Martyrer aus dem Jahr 1780, das "zu Ehren des Bischofs von Freysing Herrn Ludwig Josephs aus dem Geschlecht der freyen Reichsfreyherrn von Welden auf Hochaltingen und Laubheim" von den "benedictinischen Musen des Freysingischen Lyceums" aufgeführt wurde.