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KARL KRAUS - DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT
Neubearbeitung



Ausschnitte aus dem Film-Panorama DER THEATERDYNAMO von Bernt Engelmann und Gisela Wunderlich

Vorwort

Der Österreicher Karl Kraus war 36 Jahre Herausgeber und Autor der satirischen Wochenschrift "Die Fackel".
Sein bedeutendstes Werk wurde das Antikriegsdrama
 "DIE LETZTEN TAGE DER MENSCHHEIT" .
welches Kraus in den Jahren 1914-21 schrieb. Er selbst bezeichnet das Stück als unaufführbar und für ein Marstheater gedacht.
 
Das für 10 Tage konzipierte Drama besteht aus einem Vorspiel, V Akten und einem Epilog.
Dabei treten 200 Personen in 50 Szenen auf, die meistens in Dialogform ablaufen.
Es gibt keine durchlaufende Spielhandlung oder dramatische Höhepunkte, vielmehr sind alle Szenen in sich selbständig und abgeschlossen.

Die Figuren des Nörglers und des Optimisten verkörpern Kraus bzw. den Advocatus diaboli, und verbinden die Szenen in loser Folge. Das besondere Verdienst K. Kraus besteht in der erstmaligen Anwendung einer sprachlichen Collagentechnik. Die Personen der Handlung waren Zeitgenossen des Autors. Weit über die Hälfte des Textes wurde aus Zeitungen, Aufrufen, Reden und Gesprächen übernommen und mit brillanter Schärfe zu Dialogen montiert.

Die 1 1/2 stündige szenische Collage (mit Pause) besteht aus 15 Episoden und dem Epilog.

Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Texte, deren Anspielungen und Pointen in rascher Folge ablaufen. Entsprechend ruhig und mit relativ unbeweglichen Figuren ist die Bühne gestaltet.

Viele Originalfotos und Postkarten betonen das besondere Verhältnis K. Kraus zu Presse und Zeitgenossen. Der schnellen Technisierung des 1. Weltkriegs entspricht die zunehmende Abstrahierung des Bühnenbilds.

Schließlich endet das Drama vom Untergang der Welt ohne Hoffnung mit den Worten Gottes: Ich habe es nicht gewollt.

Gerhard Weiss

Fackel
Die Fackel 1919


Kraus 1913
Karl Kraus 1913


Entwurf Isonzo
Entwurf Isonzo-Front
Gerhard Weiss

Karl Kraus: Vorwort 1919

Die Aufführung des Dramas, dessen Umfang nach irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende umfassen würde, ist einem Marstheater zugedacht.
Der Inhalt ist von dem Inhalt der unwirklichen, undenkbaren, keinem wachen Sinn erreichbaren, keiner Erinnerung zugänglichen und nur in blutigem Traum verwahrten Jahre, da Operettenfiguren die Tragödie der Menschheit aufführten.
Die Handlung, in hundert Szenen und Höllen führend, ist unmöglich, zerklüftet, heldenlos wie jene. Der Humor ist nur der Selbstvorwurf eines, der nicht wahnsinnig wurde bei dem Gedanken, mit heilem Hirn die Zeugenschaft dieser Zeitdinge überlebt zu haben. Außer ihm, der die Schmach solcher Zeugenschaft einer Nachwelt preisgeben will, hat kein anderer ein Recht auf diesen Humor.
Die Mitwelt, die geduldet hat, daß die Dinge geschehen, die hier aufgeschrieben sind, stelle das Recht zu lachen hinter die Pflicht zu weinen.
Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate. Larven und Lemuren, die hier auftreten, tragen lebende Namen, weil dies so sein muß und weil eben in dieser vom Zufall bedingten Zeit-
lichkeit nichts zufällig ist. Das gibt keinem das Recht, es für eine lokale Angelegenheit zu halten. Auch Vorgänge an der Sirk-Ecke sind von einem kosmischen Punkt regiert.
Wer schwache Nerven hat, wenn auch genug starke, die Zeit zu ertragen, entfeme sich von dem Spiel. Es ist nicht zu erwarten, daß eine Gegenwart, in der es sein konnte, das wortgewordene Grauen für etwas anderes halte als einen Spaß, zumal wenn es ihr aus der anheimelnden Niederung der grausigsten Dialekte wiedertönt.
Es mag auch zu befürchten sein, daß eine Zukunft, die den Lenden einer so wüsten Gegenwart entsprossen ist, trotz größerer Distanz der größeren Kraft des Begreifens entbehrt. Dennoch muß ein so restloses Schuldbekenntnis, dieser Menschheit anzugehören, irgendwo willkommen und irgendeinmal von Nutzen sein.

Karl Kraus

Chamostra



Der Metzger Viktor Chamostra


Wos schaun s'denn?

Dös is guat gwogn, s'Papier wiegt aa!
Jetzt is Kriag!
Wann' s Ihna net recht is, lassen S'es stehn,
kummen S'mir aber net mehr unter die Augen, Sie bläde Urschl,
dös sag i Ihna!
So, räsonniem s' da net allaweil herum, glauben S'i hörs net?
So kriagn heut überhaupt nix - solche Kundschaften wie Sie ane
san hob i scho gfressn, schaun's daß außi kummen!


Isonzo-Front

An der ISONZO-Front

Offizier:
Da schauts, unser guter Feldkurat kommt zu uns.
Das ist schön von ihm!
Feldkurat:
Gott grüße Euch, ihr Braven!
Gott segne Eure Waffen!
Feuerts tüchtig eini in die Feind?
Offizier:
Sauber laufts, Hochwürden.
Feldkurat:
Mit Gott möcht ich auch einmal ein Geschütz probieren.
Offizier:
Gern, Hochwürden, hoffentlich treffen Sie einige Russen!



ZEUGNISSE

ADOLF LOOS

Er steht an der Schwelle einer neuen Zeit und weist der Menschheit, die sich von Gott und der Natur weit, weit entfernt hat, den Weg. Den Kopf in den Sternen, die Füße auf der Erde, schreitet er, das Herz in Qual über der Menschheit Jammer. Und ruft. Er fürchtet den Weltuntergang. Aber da er nicht schweigt, so weiß ich, daß er die Hoffnung nnicht aufgegeben hat. Und er wird weiter rufen und seine Stimme wird durch die kommenden Jahrhunderte dringen, bis sie gehört wird. Und die Menschheit wird einmal Karl Kraus ihr Leben zu danken haben.

 

WALTER BENJAMIN

Nichts trostloser als seine Adepten, nichts gottverlassener als seine Gegner. Kein Name, der geziemender durch Schweigen geehrt würde. In einer uralten Rüstung, ingrimmig grinsend, ein chinesisches Idol, in beiden Händen die gezückten Schwerter schwingend, tanzt er den Kriegstanz vor dem Grabgewölbe der deutschen Sprache. Er, der «nur einer von den Epigonen, die in dem alten Haus der Sprache wohnen», ist zum Beschließer ihrer Gruft geworden. In Tag- und Nachtwachen harrt er aus. Kein Posten ist je treuer gehalten worden, und keiner je war verlorener... Was hilfloser als seine Konversion? Was ohnmächtiger als seine Humanität? Was hoffnungsloser als sein Kampf mit der Presse?.,. Doch welches Sehertum der neuen Magier läßt sich vergleichen mit dem Lauschen dieses Zauberpriesters, dem eine abgeschiedene Sprache selbst die Worte eingibt? Wer hat je einen Geist beschworen, wie Kraus in den «Verlassenen», als ob sie vordem nie gedichtet worden wäre, die «Selige Sehnsucht»?

 

ELIAS CANETTI

Was habe ich von Karl Kraus gelernt? ... Da ist zuerst das Gefühl absoluter Verantwortlichkeit... Noch heute steht dieses Vorbild so mächtig vor mir, daß alle späteren Formulierungen derselben Forderung unzulänglich erscheinen müssen. Da ist das kümmerliche Wort von «Engagement», das zur Banalität geboren war und heute überall wie Unkraut wuchert. Es klingt so, als ob man in einem Angestelltenvcrhältnis zu den wichtigsten Dingen stehen sollte. Die wahre Verantwortung ist um hundert Grad schwerer, denn sie ist souverän und bestimmt sich selbst.




MUSIK:

Vorspiel: DAS AUFZIEHEN DER SCHLOSSWACHE ZU BERLIN

Edison Walze 1902

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Cafe Pucher: UNGARISCHE TÄNZE, CHOPIN, DVORAK

Kathleen de Domenico, Prof. Dr. Norbert Knopp

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Zwischenmusik: NEUJAHRSREVEILLE - Grammophon-Orchester

Balkonrede: KAISER WILHELM II. - Edison Walze 1914

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Chamostra: FRÜHLINGSSTIWIENWALZER -Welte-Mignon Rolle 1905

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Kaiser Wilhelm II: PUPPCHEN DU BIST MEIN AUGENSTERN,

Orchester Palais de Danse 1919

HOCH- UND DEUTSCHMEISTER MARSCH,

Xylophon-Orchester 1910

TROMPETER VON SÄCKINGENG.

Gustav Stellwagen, Trompete

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Isonzofront: JAHRMARKTMUSIK

Mamrnoth Gavioli-Fair-Organ 1892

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Epilog: SCHLAGZEUG, ORGEL (Herz-Jesu-Kirche, Köln)

Hans-Dieter Flerlage Ansgar 1-lalfkann



Kraus alt
Karl Kraus